"Volkers Kramladen"

Im Interview: Volker Rebell

Volker Rebell ist jeden Donnerstag von 23 bis 24 Uhr Ihr Gastgeber in "Volkers Kramladen", der Sendung bei hr3, in der es mal ernsthaft musikjournalistisch, mal skurril-erzählerisch, mal verträumt-poetisch, mal gesellschaftskritisch aufrüttelnd und das nächste Mal vielleicht ganz anders zugeht. Im Herbst 2003 geht Volker Rebell mit seinem Kramladen auf große Hessentour durch sechs soziokulturelle Zentren von Kassel im Norden bis Darmstadt im Süden. Ich krame, also bin ich...

Volker, in deinem - standardisierten - Fragebogen auf der HR-Homepage sagst du, dass du standardisierte Fragebögen nicht magst. Dürfen wir - tiefenpsychologisch betrachtet - unterstellen, dass derlei Abneigung gegen Standardisiertes kein Zufall ist?

In der Welt der Technik ist Normung und Austauschbarkeit absolut notwendig, sonst würde keine Schraube in die Mutter passen, aber die Kreativität z.B. lebt davon, dass bei dir auch mal 'ne Schraube locker ist. Und wer von uns möchte schon im persönlichen Bereich auf standardisierte Formeln reduziert werden oder gar austauschbar sein?

Mein Heimatsender hr3, der mir seit fast 27 Jahren die Radiospielwiese "Volkers Kramladen" ermöglicht, hat den Auftrag, möglichst viele Hörer zu erreichen Dies macht ein Sendekonzept erforderlich, das auf breite Hörerakzeptanz ausgerichtet ist und mit klar definierten Vorgaben arbeitet, was Musik/Wortanteil, Sendeablauf, Höreransprache etc. angeht. Einschaltquoten und Hörerumfragen sind Grundlagen des Formatradio-Konzeptes. Ich persönlich hatte immer einige Schwierigkeiten, den Standard des Formates einzuhalten. Der kleine Rebell in mir fühlt sich schnell von einem Laufstall eingeengt. Insofern ist es erstaunlich, dass mein hr3-Chef Jörg Bombach solange Geduld mit einem Rebell hat, der die Durchhörbarkeit seines hr3-Programms jeden Donnerstag in der Geisterstunde immer wieder stört. Allerdings gehört es zum Konzept von hr3, wie es Jörg Bombach vertritt, dass ab 23 Uhr Spezialinteressen und Sonder-Programmangebote zum Zuge kommen. ("Volkers Kramladen", donnerstags ab 23 Uhr ist Teil der hr3-Spezialschiene, zu der ja übrigens auch die montägliche Sendung "Der Ball ist rund" von Klaus Walter gehört und die Sparten-Sendungen "Hard'n Heavy" von Christoph Habusta, mittwochs und "Modern Rock" mit Mirko Förster, dienstags). Kaum eine andere deutsche Popwelle leistet sich solch einen Luxus. Bei einem kommerziellen Privatsender würde ich mit meinem Kramladen nicht mal am Portier vorbei kommen.

Du selber hast in deinen jungen Jahren Theater gespielt und bist anschließend - ohne fundierte Ausbildung (?) - beim Rundfunk gelandet. Wie hat sich das ergeben? Und was haben deine Eltern dazu gesagt?

In den sechziger Jahren war ich begeisterter Beat-Bubi, war Sänger/Gitarrist in einer Beatband, machte politisches Jugend-Kabarett, später auch Kindertheater - übrigens immer parallel zum bürgerlichen Leidensweg durch Schule, Lehre, technischem Studium (die beiden letzteren Leidensstationen kamen durch elterlichen Druck zustande) - Es war die Zeit der klassischen Schizophrenie: tagsüber der fast immer brave, angepasste Schüler, Lehrling, Maschinenbaustudent, abends und am Wochenende die Gegenwelt, das eigentliche Leben. Meine Eltern haben das zwar nicht unterstützt, aber sie ließen mir diese kleine Freiheit, weil sie spürten, ohne diese selbstbestimmten Selbstverwirklichungsmöglichkeiten wäre ich entweder depressiv oder Rebell geworden. 1965 gewann meine Band mit selbst verfassten deutschsprachigen Songs den Deutschen Beatband-Wettbewerb in Kassel. Wir traten jedes Wochenende auf und lernten bei gemeinsamen Gigs das Frankfurter Sänger- und Soziologen-Duo Christopher & Michael kennen. Als die Discotheken aufkamen und Auftrittsmöglichkeiten für Amateurbands immer seltener wurden, löste sich meine Band auf und Christopher Sommerkorn ging als Redakteur zum hr. Da er für eine neue Jugend-Musiksendung Mitarbeiter aus der Szene suchte, gab er mir eine Chance.1970 durfte ich meine erste Sendung gestalten und moderieren. Und weil die ganz gut ankam, sollte ich in der darauffolgenden Woche eine Fortsetzung machen und dann noch eine und noch eine. Seitdem setze ich fort, solange man mich lässt. Aber ich hatte tatsächlich (und habe bislang) weder eine journalistische noch eine Sprecher-Ausbildung genossen. Es ist ja auch nur ein "Kramladen".

Meinen erlernten bürgerlichen Beruf als Ingenieur übe ich immer noch aus. Die von meinem Vater ererbte Firma musste ja jemand weiterführen. Warum ich? Weil es sonst niemand in meiner Familie machen wollte/konnte.

Du nennst deine Hauptsendung "Volkers Kramladen", weil du gerne Hörenswertes abseits des Mainstreams aus- und hervorkramst. Nun haben es ja bekanntermaßen die kleinen Kramläden um die Ecke ziemlich schwer gegenüber den großen Einkaufszentren. Ist das, was du tust, also ein Auslaufmodell? Oder - im Gegenteil - eine zeitlose Nische?

Für manche war das, was ich im Kramladen treibe, auch früher schon, nicht nur ein Auslaufmodell, sondern ein Dorn im Ohr. Doch glücklicherweise gab es immer wieder positives Feedback vom Freundeskreis der Kramladen-Hörer und vor allem Rückendeckung von der hr3-Leitung. Ich bin der Meinung, dass es ein kleines Radio-Biotop für außergewöhnliche Musik und nicht-formatierte Präsentationsformen abseits der Trampelpfade in der Rundfunklandschaft geben sollte. Wer einen kleinen Krämerladen aufsucht, weiß warum. Der Supermarkt kann nicht alle Bedürfnisse und Interessen abdecken.

Derzeit bekommt man ja auf allen Kanälen das volle Programm: Überall werden Stars gesearcht, weitgehend talentfreie Personen bekommen hochdotierte Verträge, nur weil sie Dieter genaddelt hat, und 18jährige kübeln Memoiren-Böckmist in die Öffentlichkeit.

Du bist ja schon ein paar Jährchen dabei: Wie bewertest du - gerade auch vor dem Hintergrund deiner langjährigen musikjournalistischen Schwerpunktsetzung - diese Geschehnisse?

Das Thema Aufstieg zum Popstar und mit seiner selbstgemachten Musik oder dem eigenen Gesang anerkannt zu werden und Erfolg zu haben, das ist so alt wie die Popmusik selbst. Ich weiß, wovon ich rede. Als 18-jähriger war ich selbst mal als Sieger eines nationalen Wettbewerbs für eine Nacht ein kleiner Star. Soetwas hat für junge Leute jeder Pop-Generation eine ungeheure Faszination. Ob die gecasteten Sänger von heute nun talentfrei sind oder nicht, die Identifikation des Publikums hält dieses Karussell am Laufen: die Vorstellung, selbst mal für 15 Minuten im Rampenlicht zu stehen und das Gefühl, also wenn der/die das schafft, dann kann ich das auch. Wenn der mediale Overkill der Castingshows erreicht ist, wird sich das Publikumsinteresse von dieser Art Sendungen schlagartig abwenden. Und dann hat sich das Thema von selbst erledigt - jedenfalls bis auf weiteres. Bei einer Internetrecherche zu deinem Namen landet man recht schnell, wenn auch vollkommen zufällig. bei Links zu Büchern über Heinrich Heine "Der träumerische Rebell" oder Mahatma Gandhi "Der gewaltlose Rebell". Ist die Technik gar nicht so doof, wie man gemeinhin annimmt? Diese Suchergebnisse treffen mich ja geradezu ins Herz.

Seit meiner Pubertät bin ich ein glühender Verehrer von Heinrich Heine. Seine Gedichte und Reisebilder, im erzählerischen Ton zwischen brüchiger Romantik, milder Ironie und kämpferischer Beherztheit, haben mich geprägt wie nichts sonst in der Welt der Literatur. Ich liebe das "Buch der Lieder" und alle "Reisebilder". Wahrscheinlich kommt es nicht von ungefähr, dass ich bei meinen eigenen Reisegeschichten, über die wir später noch reden werden, einen ähnlichen erzählerischen Tonfall anstrebe. (Nicht falsch verstehen: ich bin kein Heine, ja nicht mal ein richtiger Rebell) Ein "gewaltloser Rebell" ... "is something to be". Vor Mahatma Gandhi verneige ich mich in tiefer Ehrfurcht und mit großem Respekt. Beharrlich für seine Ziele eintreten, gegen alle Widerstände und trotz aller Rückschläge unermüdlich Überzeugungsarbeit leisten - von dieser positiven, lebensbejahenden und menschenfreundlichen Einstellung kann man nur lernen.

Kommen wir auf die kommende Tour "Volkers Kramladen live" zu sprechen. Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Berührungspunkte zwischen deinen Sendungen und soziokulturellen Zentren, vom Sampler "trax from the neighbourhood" der Hanauer Schweinehalle über viele Künstler/innen aus dem Weltmusikbereich wie gerade jüngst Anne Wylie oder das Live-Jubiläum "5 Jahre Schwarz/Weiß" im Marburger KFZ, um nur einige zu nennen. Lässt sich dahinter eine Art gemeinsame Philosophie oder Blick auf die Welt vermuten?

Offenbar. Kunst ist Nahrung für die Seele. Ohne Musik und (Song-)Lyrik wäre mein Leben nur halb so schön. Die Welt ist kompliziert, das Privatleben manchmal auch. Manche Widersprüche, ob draußen in der Welt oder im eigenen Verhalten, lassen sich nicht immer mit dem bißchen Verstand auflösen. Was sich schwer in Worte fassen lässt, wird mitunter sofort spürbar durch die Gefühlswelt der Musik ausgedrückt. Manchmal sagt die Energie der Musik mit nur einer Songzeile mehr als das Mediengewitter aller Nachrichten, Analysen und Kommentare einer ganzen Woche. Das, was ich aus den Musik-Konzertprogrammen der hessischen LAKS-Kulturzentren kenne, deckt sich weitestgehend mit dem, was ich persönlich musikalisch schätze, vorstellen und unterstützen möchte. Wenn die Philosophie der Kulturzentren unter anderem zu umschreiben wäre mit der Aufgeschlossenheit für Unbekanntes, dem Interesse an Außergewöhnlichem und der Gewißheit, dass es abseits des Mainstream spannende und aufregende Wege zu entdecken gibt, dann wäre der Kramladen im gleichen Geiste auch ein kleines musikalisches LAKS-Kulturzentrum - zumindest von der Philosophie her verwandt.

Worauf darf sich das geneigte Publikum auf dieser Tour freuen?

Ich will das nicht zu hoch hängen und die Erwartungen auch nicht zu hoch schrauben. Zu erleben gibt's im Grunde eine bebilderte Radiosendung mit Live-Auftritten. Ich lade die Besucher zu einer Weltmusikreise ein, erzähle Reisegeschichten und spiele dazu passende CD-Musik. Der Clou dabei aber ist, dass mein Freund, der Reisefotograf Holger Leue mit seiner beeindruckenden Diashow aus meinem Text- und Musikprogramm einen Film aus Einzelbildern inszeniert. Wir reisen durch die Karibik, Texas, Kalifornien, Hawaii, die Südsee, Neuseeland und Australien, machen Station in Marokko, wo plötzlich Houssaine Kili leibhaftig aus den Kulissen treten wird, um seine intensive Gnawa-Musik und seinen Berber-Groove live zu intonieren, reisen dann weiter nach Schwarzafrika, wo wir Nana Asamoah aus Ghana mit einer Tanzperformance und Akrobatikshow erleben werden - natürlich auch live auf der Bühne. Daneben wird es ein fünfteiliges Reisequiz geben, bei dem einige der beliebten hr3-Acessoires zu gewinnen sind.

Gibt es noch etwas, was du an dieser Stelle loswerden möchtest?

Mein Kramladen-Motto lautet: Ich krame, also bin ich ... auf der Suche.Das gehört zu meinen liebsten Beschäftigungen: Kramen, Stöbern, Suchen - und dann: Kuck mal, hör mal, was ich da gefunden habe. - Das ist ein kleines Glück, das im Grunde täglich zu haben ist. Im Sinne von: Ach, da sind ja die Eintrittskarten, die ich seit Tagen suche. Oh Mist, das Konzert war gestern.

Volker, wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte: Bernd Hesse © 2003 LAKS Hessen e.V, www.laks.de