"Bismarck hatte keine Ahnung von der Wurstherstellung"

Interview mit CDU-Generalsekretär und Geschäftsführer Michael Boddenberg

Michael Boddenberg wurde 2001 Generalsekretär und Geschäftsführer der CDU Hessen nach dem denkwürdigen Wahlkampf von Roland Koch im Jahre 1999. In Frankfurt am Main leitet er eine private Fachschule, die Fleischerinnen und Fleischer sowie Bäckerinnen und Bäcker auf die Meisterprüfung vorbereitet. Sein Berufsweg konzentriert sich auf mittelständische Unternehmen. Michael Boddenberg, Jahrgang 1959, ist seit 1988 Mitglied der CDU, war von 1993 bis 1999 Mitglied des Magistrats der Stadt Frankfurt als ehrenamtlicher Stadtrat und ist seit April 1999 Abgeordneter im Landtag und wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.

Herr Boddenberg, Ihre Familie besitzt etwas, das man nicht sofort bei einem Generalsekretär der hessischen CDU erwarten würde, nämlich ein Atelierschiff für freie Kunst und Kultur. Wie kam es dazu?

Vor mehr als zehn Jahren tauchte in unserer Fachschule das Atelierprojekt "unartig" auf: wir hatten eine Nachbarschaftsliegenschaft erworben, um dort neue Unterrichtsräume anzusiedeln. Dort war die Künstlergruppe untergebracht, mit der ein langfristiger Mietvertrag bestand. Beide Seiten begannen, nach Alternativen für das Atelier zu suchen, was sich als schwierig erwies. Von der Gruppe kam der Vorschlag, das Schiff zu besiedeln - es galt in die Pflicht zu gehen: wir haben das Schiff erworben und an die Gruppe vermietet.

Das Schiff wurde kürzlich zur Reparatur in eine Werft nach Bingen geschifft. Wie ist die Perspektive des Atelierschiffes ?

Die Reparaturen werden für eine Zeit von 8-10 Jahren ausreichen. Das Schiff kehrt am 1. Juli nach Frankfurt zurück und verbleibt dann wieder an seinem bisherigen Standort am Rudererdorf einige hundert Meter vor der Gerbermühle.

Allein die Reise des Schiffes nach Bingen, ausgerechnet mit einem Schubschiff, das den Namen St. Hildegard trägt, machte diese Aktion zu einem kleinen Kunstwerk. Ist auch das ein Ergebnis boddenbergscher Planung??

Zwar habe ich den Reparaturvorgang organisiert, jedoch spielen Zufälle immer mit. Dass das Schubschiff der Firma Loh, die die Logistik übernommen hatte, den Namen der Hildegard von Bingen trägt, war uns allen nicht bekannt. Am Rande: Im Zusammenhang mit dieser logistischen Aktion erfährt man einiges über den Zustand der Binnenschiffahrt - ausländische Schiffseigner fahren einen harten Wettbewerb, Niederländer z.B. erfahren dafür eine massive staatliche Förderung.

Wer arbeitet auf diesem Schiff ? Und was findet dort statt ?

Die Crew wechselt zu exakt diesem Zeitpunkt. Die ursprüngliche Besetzung mit Manfred Feith-Umbehr, Beate Rosebrock, Ivo Sedlacek und Rolf Winkler findet Nachfolger in Birgit Arp und Siegfried Kärcher. Das Schiff bleibt Arbeitsort der Künstler, wie bisher werden Ausstellungen, Lesungen und Konzerte dort stattfinden.

Wo liegen Ihre bevorzugten Kontakte zur Kultur ?

Es gibt latente Kontakte, die ich ausserordentlich spannend finde. In einer Großstadt wie Frankfurt am Main existiert nicht nur eine Kultur von internationalem Renomée, daneben gibt es eine breite Szene einer so genannten Basiskultur, die den Charme dieser Stadt ausmacht.

An diesem Wochenende haben wir in Frankfurt die Parade der Kulturen gefeiert. Was erleben Sie, wenn Ihr Parteifreund Stadttat Dr. Magen hier als Schirmherr und Juror fungiert ?

"Kultur auf der Strasse" trägt zum gegenseitigen Verstehen enorm bei. Dies ist sehr wichtig, gerade in Frankfurt. Die Balance zwischen Identität der Kulturen, mit denen uns mehr als 30 % der Bevölkerung unserer Stadt bereichern und der notwendigen Integration bedarf einer ständigen Abwägung. Dr. Magen steht für diese Frankfurter CDU-Politik, die einerseits Integration fordern und andererseits Identität fördern will.

Sie leben in Frankfurt, haben hier mehrere Jahre in der Kommunalpolitik als Stadtrat gewirkt. Kann man sagen, dass hier ihr politisches Engagement begonnen hat ?

Ich lebe seit 1983 in Frankfurt, war jedoch zunächst politisch inaktiv, obwohl ich bereits seit 1988 Mitglied der CDU war. Petra Roth hat mich dann 1993 für eine ehrenamtliche Tätigkeit im Magistrat vorgeschlagen. Ich bin also eher zufällig in die Politik geraten.

Hat diese Stadt Sie verändert ? Wie gehen Sie mit Faszination der Stadt und ihren inneren Widersprüchen um ?

Frankfurt ist eine der spannendsten Städte in Europa. Das liegt an der Vielfalt der Kulturen, aber auch in den Spannungsfeldern Handwerk und Handel, Kernstadt und Umland, Moderne und Tradition. Mit den Widersprüchen, auch mit dem offenbar seit Jahrhunderten währenden kritischen Diskurs zwischen der Stadt und ihren Kulturschaffenden kann ich leben, ich finde die ständige Auseinandersetzung eher spannend. Die Kunst muss sich mit ihren Kritikern, dem Publikum, aber auch mit der Politik in einem ständigen Spannungsfeld befinden, um kreativ sein zu können.

Sie sind kein reiner Berufspolitiker, sondern Sie teilen sich auf in Ihre Funktion als Generalsekretär und Abgeordneter der CDU Hessen und führen erfolgreich ein mittelständisches Unternehmen in der beruflichen Aus- und Fortbildung. Wo liegt die Lust an den verschiedenen Standbeinen? Ist es die Unabhängigkeit oder begeisterte Unentschiedenheit?

Ich habe noch keine Minute in meinem beruflichen Leben verbracht, in der ich nicht wusste, was ich als nächstes tun sollte, soll heißen: mir war noch nie langweilig. Ein Hauptmotiv für mein Tun sind meine vielseitigen Interessen, der Reiz des Neuen und die Chance, mitgestalten zu können. Wichtig ist mir die wirtschaftliche Unabhängigkeit von der Politik, weshalb ich auf ein zweites Standbein großen Wert lege. Dies geht natürlich nur mit einem großen Verständnis meiner Familie, insbesondere meiner Frau.

Wie ergeht es dem aktiven Mittelständler und Wirtschaftspolitiker, der seine betrieblichen Prozesse meistert und beherrscht, wenn er sieht, wie mangelhaft Wirtschaftsführer in Deutschland ihre Hausaufgaben erledigen?

Ich gehöre nicht zu denjenigen, die ständig Noten in Richtung anderer, zum Beispiel der Unternehmer und Politiker verteilen. Das Problem, das unsere Gesellschaft zur Zeit hat, ist, dass sie insgesamt etwas träge geworden ist. Dies macht weder vor den Führungskräften der Wirtschaft, aber auch nicht vor anderen gesellschaftlichen Gruppen halt. Auch in der Kultur sind möglicherweise schnellere Veränderungsprozesse angesagt; etwa in Richtung Sponsoring. Die Frage nach dem richtigen Maß an gewollter, geduldeter oder akzeptabler Kommerzialisierung wird Teil der künftigen Debatte sein. Die Kunst muss bei diesen Veränderungen ihr Publikum, der Unternehmer bei der Umgestaltung betrieblicher Prozesse die Beschäftigten und der Politiker möglichst viele Menschen mitnehmen. Beim Politiker gelingt dies schon fast, wenn er sagt, was er denkt und wenn er tut, was er sagt.

Im letzten Jahr erschien erstmals der 1. Hess. Kulturwirtschaftsbericht - er zeigt neue Verbindungen von "klassisch" getrennten Ressorts (Wirtschaft&Verkehr / Wissenschaft&Kunst). Die Soziokultur in Hessen hat, so ein Ergebnis der Untersuchung, eine aktive und gestaltende Rolle bei solchen interdisziplinären Aktivitäten. Glauben Sie, dass auch im Alltag der Landtagsparteien eine neue Sicht eingetreten ist ?

Im Zuge der aktuellen Debatte in Hessen, insbesondere im Rhein-Main-Gebiet, reden zunehmend Unternehmer und Verbände von "weichen" Standortfaktoren in einer Weise, die mich positiv stimmt. Wir haben unglaubliche Schätze, die man nicht nur international, sondern auch in Hessen stärker ins Bewusstsein rücken muss. Das betrifft nicht nur unsere Museen und Theater, sondern -wieder am Beispiel Frankfurts-, auch das Miteinander verschiedener Kulturen und Künstler als Synonym für eine vielschichtige, tolerante und weltoffene Gesellschaft.

Otto von Bismarck wird das Zitat "Mit Gesetzen ist es wie mit Würsten: Es ist besser, wenn man nicht zusieht, wie sie gemacht werden." zugeschrieben. Was sagt der Mittelständler, was der Politiker dazu?

Bismarck hatte keine Ahnung von der Wurstherstellung.

Herr Boddenberg, wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte: Jürgen Leinhos © 2004 LAKS Hessen e.V, www.laks.de