"Ein Zusammentreffen wie in New York"

Der Schlagzeuger Tobias Backhaus

Am 30. April 2004 beendet Tobias Backhaus seinen Zivildienst in der Bessunger Knabenschule in Darmstadt. Wenige Tage vor seinem Abschied war Premiere des jüngsten Projektes des 20-jährigen Musikers in der Bessunger Knabenschule. Sein filigranes Schlagzeugspiel macht ihn zum jüngsten Partner im neu gegründeten (international präsenten) Torsten de Winkel - Audun Waage Quartet, zugleich steht er am Beginn eines Musikstudiums und fühlt sich dem Bessunger Universum lebhaft verbunden.

Tobias, du bist gerade mal 20 und machst mit viel Freude und Energie eine vielschichtige Musik. Leider zerstörst Du die Erwartungen einer Legion hochbetagter Experten, die märchenhaft über anspruchslose "Jugendkultur" Bescheid wissen. Magst Du es nicht bequem POPulistisch?

Vieles von dem, was Jugendliche heutzutage angeblich gut finden, empfinde ich als lautes dummes Zeug, erlebe es als rein kommerziell und sehr konstruiert. Jugendliche finden es wohl oft deshalb gut, weil die Heranführung an Musik als Ganzes (z.B. in der Schule) mangelhaft ist. In meiner Schulzeit konnte man schon mal als Außenseiter dastehen, weil man die aktuellen Hits nicht draufhatte. Wichtiger und interessanter finde ich die vielen jungen Musiker, die sich intensiv mit Musik beschäftigen, darüber ein anderes Verständnis von Kultur und Gesellschaft und ein anderes Selbstverständnis entwickeln.

Wie hat das mit Dir angefangen?

Meine musikalische Mutter förderte meine Begabung: Mit vier Jahren hatte ich Unterricht, mit sechs mein erstes Schlagzeug. So habe ich eine breit angelegte Ausbildung erhalten, mit der ich meine Faszination für den Jazz und seine musikalischen und kulturellen Einflüsse entwickelt habe. Ich kam durch regelmäßige Besuche bei Sessions recht früh mit der professionellen Musikszene in Kontakt und fand selbst hinein. Mittlerweile spiele ich in vielen Jazzcombos und Bigbands im Rhein/Main-Gebiet und bin Mitglied im Landesjugendjazzorchester Hessen.

Wie kamst du zur Knabenschule?

Auch da spielt zunächst die Musik eine Rolle. Ich hatte Unterricht in der Trommelwerkstatt, die dort ihr Domizil hat. Dann entdeckte ich die Konzerte, war Teilnehmer Darmstädter JazzConceptions, die seit zwölf Jahren hier stattfinden. Von der Möglichkeit zum Zivildienst habe ich von Freunden erfahren: Die Knabenschule ist so alt wie ich. Es war die Chance, eine andere Schicht von Leuten kennenzulernen, und heute kann ich sagen: Ich bin gern hier, ich fühle mich in Bessungen zu Hause. Bessungen wird mich so schnell nicht loswerden. Ich werde der Knabenschule auch weiterhin verbunden bleiben, trotz oft mühsamer Arbeit werde ich die Kinder, die Gruppen, die Persönlichkeiten vermissen.

Darmstadt-Bessungen - zu diesem kleinen Universum gehören das Jazzinstitut, die Akademie für Tonkunst, die Bessunger Knabenschule, der Förderverein Jazz...

Hier in Bessungen versammelt sich die Musikszene in allen Bandbreiten: die notierte "europäische" Musik; der Jazz mit Konzerten, Workshops und Diskursen; lateinamerikanische und orientalische Musik (gerade hier in der Knabenschule) - das ist auf engstem Raum ein Zusammentreffen wie in New York. Ich erlebe ein freundschaftliches Zusammenwirken der Einrichtungen und der Personen...

Hat Dich das beeindruckt und beflügelt?

Es beflügelt mich persönlich und musikalisch. Es ist kein Zufall, das Jürgen Wuchner, Uli Partheil, Tom Nicolas hier leben, dass Janusz Maria Stefanski hier so präsent ist. Sie alle hatten einen großen Einfluss auf mich...

Wie siehst Du die Verantwortung des Musikers?

Musik kann für mich einen großen Teil zur Verständigung von Völkern und Kulturen beitragen. Dazu muss die Musik mit ehrlichen Intentionen daherkommen, völlig unabhängig von Stilistik oder Herkunftsland. Hip Hop zum Beispiel kann dem Jazz oder dem Punkrock oder Reggae als völlig gleichwertig gesehen werden: Die Energie und die Ehrlichkeit sind das wichtigste. Das macht die Musik zu einer universellen Sprache. Diesen Anforderungen will ich mich stellen. Deshalb versuche ich, zuerst die Musik sprechen zu lassen. Für mich gehört Experimentierfreude zur Musik. Dazu gehört, dass - wie das in der Knabenschule geschieht - das Jazzpublikum auch mal bei den Punks zuhört und dass, wie z.B. zu meinem Konzert mit Torsten de Winkel, die Punks bei Jazzkonzerten reinschauen

Welches es sind Deine nächsten Projekte?

Das Torsten de Winkel - Audun Waage Quartet wird im Sommer viele Auftritte in Deutschland und Skandinavien haben, eine dreiwöchige Tournee nach Kanada mit dem Landesjugend-jazzorchester steht an und im Moment bereite ich mich auf mein Musikstudium vor.

20 Jahre Bessunger Knabenschule: Du feierst deine Premiere an den Wurzeln der Soziokultur...

Als Zivi habe ich hier vieles gelernt: Wie man richtig putzt, dass Pfungsdtädter Pils besser schmeckt als Becks etc. Aber für mich als Musiker war es sehr interessant und lehrreich auch die "andere" Seite der Kulturarbeit kennenzulernen, so die Organisation, Vorbereitung und Abwicklung von Konzerten, Anspruch und Wirklichkeit der Soziokultur. Wichtiger noch: die Knabenschule als Umschlagplatz für Kulturen und Lebensarten. Rückmeldungen und Einflüsse aus allen Bevölkerungsschichten treffen hier auf Dich, wenn Du in der Knabenschule bist, Punks, Jazzer, Theater, Kinder...

Gerade mit den Punks ein Bier zu trinken, ist etwas, was ich ohne die Knabenschule nie gemacht hätte, weil die Szene einfach eine ganz andere ist. Dieses friedliche, offene und freundschaftliche Zusammenleben der unterschiedlichsten Leute hier ist etwas ganz besonderes!

Tobias Backhaus, wir hoffen, noch viel von Dir lernen zu können und wünschen Dir Glück und Erfolg.

Das Interview führte: Jürgen Leinhos © 2004 LAKS Hessen e.V, www.laks.de