"Alles, was das Publikum abends sieht, ist ehrenamtliche Arbeit von engagierten Menschen."

Eine bessere Arbeitsgrundlage für unser soziokulturelles Zentrum

Ende des Jahres 2004 traten die Aktiven des KFZ Marburg mit einem spektakulären Beschluss an die Öffentlichkeit: Nach 28 Jahren wird der Betrieb des weit über Marburg bekannten und geschätzten soziokulturellen Zentrums im Herbst 2005 beendet, wenn nicht endlich eine bessere Arbeitsgrundlage geschaffen wird.

Ein Nachtrag vom Dezember 2005 folgt am Ende.

Einen derart weit reichenden Beschluss, ein erfolgreiches, bundesweit bekanntes und nachfragestarkes Kulturzentrum zu schließen, fällt man nicht alle Tage. Wie kam es zu diesem Entschluss?

Gero Braach: Bei uns wuchs die Erkenntnis, dass wir trotz einer schon umgesetzten Lohnkürzung es nicht mehr schaffen würden, das vorhandene Personal zu halten. Nun sind ca. 200 Veranstaltungen mit auf Vollzeit gerechnet vier Hauptamtlichen auch nur mit ganz viel Engagement und ehrenamtlicher Arbeit zu bewältigen. Da ist uns endgültig der Geduldsfaden gerissen, und wir haben nach 28 Jahren mit der ungewöhnlichen, aber absolut - das gilt auch für jeden persönlich - ernst gemeinten Aktion die vernünftige strukturelle Förderung des KFZ auf die politische Tagesordnung gesetzt, die schon längst seit zehn Jahren hätte gelöst sein können.

Wie entstand die Deckungslücke, die letztlich zu eurem Entschluss geführt hat? Verteuern sich die Rahmenbedingungen ständig? Bleibt das Publikum weg? Kann das KFZ nicht mit Geld umgehen? Oder verdient ihr zuviel?

Sabine Welter: Zum einen haben wir unsere erste Azubine für den Spottpreis von 1000 € Bruttogehalt monatlich nach der Lehrzeit übernommen. Unser Laden braucht diese engagierte Person. Wir haben keinen Publikumseinbruch, im Gegenteil: Wir haben unsere Besucherzahlen auch in 2004 nochmals steigern können. Das KFZ erwirtschaftet seit Jahren circa zwei Drittel selbst, und das liegt weit über dem bundesweiten Durchschnitt der Soziokulturellen Zentren. Aber damit ist das Ende der Fahnenstange erreicht! Das haben wir jahrelang auch kulturpolitisch kommuniziert und in diesem Jahr öffentlich gemacht. Unsere Gehälter bewegen sich in Tiefen, die uns vielleicht kaum jemand abnimmt: Mit 401 € bis 2000 € Bruttogehalt kann man weder beruhigt eine Familie gründen, geschweige denn alt werden. Auch diese arbeitspolitischen Aspekte sollten in der Soziokultur eine Lösung finden.

Wie sieht eigentlich euer Finanzierungsmix aus? Was kommt dabei raus? Und wer macht die Arbeit?

Gero Braach: Wir bekommen oder bekamen ungefähr 25% des Gesamtumsatzes aus Kulturzuschüssen, ca. 8% aus Zuschüssen der Arbeitsverwaltung oder des Bundesamtes für den Zivildienst. Auch die fehlenden Zuschüsse aus der Arbeitsverwaltung gehören zu unserem Problem dazu. Mit höchstens halbjährlichen 1-Euro-Jobs lässt sich keine ABM/SAM -Kraft ersetzen. Wir können froh sein, dass wir ein so reges Team haben, das uns hilft, die Veranstaltungen durchzuführen. Alles, was das Publikum abends sieht, ist ehrenamtliche Arbeit von engagierten Menschen

Wie waren die Reaktionen auf euren Beschluss? Und was hat sich seitdem getan?

Kerstin Plessow: Die Reaktionen waren in der Regel sehr verständnisvoll unserer Situation gegenüber: "Endlich mal klar Stellung bezogen.", "Ich hätte nicht gedacht, dass Rot-Grün das so schlecht löst.", "Bei dem, was ihr verdient, gibt es wirklich nichts mehr zu sparen" oder "Das KFZ darf nicht schließen, wohin soll ich sonst auf Konzerte gehen?". Dazu haben uns die Unterstützung von anderen Kulturträgern wie dem Hessischen Landestheater und die vielen Spenden nicht nur finanziell einen großen Schritt weiter gebracht, auch für die Stimmung im Laden war es sehr wichtig.

Ein Teil der Deckungslücke ist bereits durch diese Spenden abgedeckt. Ist damit das Problem tendenziell vom Tisch?

Kerstin Plessow: Unsere Deckungslücke liegt augenblicklich bei mehr als 14.000 €, und wir hoffen darauf, diese in diesem Jahr zu schließen. Aber Spenden und Sponsoring sind keine Lösung auf lange Sicht. Für die nächsten Jahre muss die Politik eine bessere Grundsicherung gewährleisten. Sonst müssen wir zwangsläufig ernst und damit dicht machen.

Die strukturelle Problematik, die zu eurer Situation geführt hat, ist ja bei nahezu allen soziokulturellen Zentren aufreibende Realität. Was muss sich aus eurer Sicht ändern, damit soziokulturelle Zentren ihr Leistungsspektrum auch in Zukunft aufrecht erhalten können?

Gero Braach: Die Kulturpolitik in den Kommunen wie im Land muss Soziokultur ernst nehmen und als Förderbereich in erheblich erweitertem Umfang etablieren. Ein nicht unerheblicher Teil meiner beruflichen Lebensarbeitszeit ist für diesen Part verwendet worden. Anfang der 90er Jahre mit dem Aufbau der LAKS Hessen und der Einführung eines eigenen Etats für die Soziokultur im Landeshaushalt mit großem Erfolg, seit Mitte der 90er Jahre nur noch in der Kommune erfolgreich. Beim Land Hessen treten wir seit ca. 10 Jahren auf der Stelle. Ich finde es empörend, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben, aber eine Kulturpolitik vorfinden, die vorrangig nur für einen kleinen Teil der deutschen Bevölkerung gemacht wird. "Kultur für alle", als Anspruch schon lange formuliert, hat bis heute keinen Eingang in hessische Kulturpolitik gefunden, höchstenfalls in die Absichtserklärungen darüber. Die Kulturpolitik auf Landesebene ist von vorgestern und es wird Zeit für weit reichende Reformen, die in die Zukunft weisen und nicht nur rückwärtsgewandt am Alten festhalten.

Stellvertretend für andere Kommunen: Was würde Marburg verlieren, wenn das KFZ seine Arbeit einstellt?

Sabine Welter: Marburg würde einen engagierten, attraktiven Kulturveranstalter mit über 40.000 Besuchern und Besucherinnen pro Jahr verlieren. Das KFZ als ältestes soziokulturelles Zentrum hat darüber hinaus in ganz unterschiedlichen Bereichen viel für die freie Kulturszene erreicht und umgesetzt. Marburg würde einen unter vielerlei Gesichtspunkten bestens funktionierenden Kulturbetrieb verlieren, der mit seinem Know How sicherlich noch viel für die Attraktivität der Stadt Marburg zukünftig beitragen

Nachtrag:

Wir schreiben Anfang Dezember 2005. Das KFZ Marburg existiert noch, obwohl euch für das laufende Jahr 2005 immer noch 13.200 Euro fehlen. Heißt aber auch, 27.000 Euro konntet ihr zusätzlich akquirieren.

Wie kam diese Summe zusammen? Und was ist mit der offenen Deckungslücke?

Im Jahr 2004 hat es durch unsere Drohung zu schließen einen Ruck in verschiedenen Bevölkerungskreisen gegeben, um unsere Arbeit zu stärken. Die Sparkasse Marburg-Biedenkopf hat mit Unterstützung der Politik einen fünfstelligen Betrag, die Marburger Bank einen vierstelligen für unsere Arbeit zur Verfügung gestellt. Die anderen 7.000 € sind durch Firmen, vor allem aber private Spenden zusammen gekommen. Die offene Deckungslücke werden wir nicht schließen können, d.h. wir machen einen Abschluss, der im Minus liegt. Nach dem 31.12. kann ich dazu mehr sagen, wie hoch. Wir bemühen uns natürlich, klar.

Ihr geht mit voller Kraft ins Neue Jahr. Sind also alle strukturellen Probleme gelöst, was für euch ja eine grundlegende Bedingung für das Weitermachen war?

Die Stadt Marburg und die regierende Koalition aus Rot-Grün setzt ein kulturpolitisches Signal, indem sie den Zuschuss für das KFZ in 2006 um 30.000 € erhöhen wollen. Das ist für uns eine Perspektive, die uns Zukunft bietet. In einem Haushalt, der insgesamt mit Kürzungen deckungsfähig gemacht wird, also ein tolles Ergebnis des KFZ, wie der Kulturpolitik in Marburg, was ohne die Unterstützung des Oberbürgermeisters sicher so nicht gelaufen wäre.

Was nehmt ihr aus dieser Aktion, die ja bundesweite Aufmerksamkeit und Nachfragen nach sich gezogen hat, mit?

Es war richtig, aufzuzeigen, dass man ein qualitativ hochwertiges Programm nur mit entsprechendem Zuschuss leisten kann. Die Kürzungshaushalte der letzten Jahre seitens der Kommune und des Landes, sowie die Kürzungen seitens der Arbeitsverwaltung waren nicht mehr aufzufangen. Wir hätten die Spirale nach unten laufen müssen. Das wollten wir vermeiden. Es hat uns alle unglaublich viel Nerven gekostet, weil wir es, auch jeder für sich persönlich, absolut ernst gemeint haben. Aber wir haben damit die Gruppe, die das KFZ leitet, gerettet und damit auch die Qualität unserer Arbeit.

Nun mag es einige geben, die diese Aktion als gezielte PR unter dem Vorwand einer extremen Notlage interpretieren könnten. Was sagt ihr dazu?

Bei Löhnen um die 1.000 € netto wussten wir, dass der Spielraum zu Kürzungen im Lohnbereich nicht mehr da ist. Es gehört sowieso schon viel persönliches Engagement dazu, hier zu arbeiten, weil jeder Hauptamtliche unbezahlte Überstunden leistet. Wer das lediglich als gezielte PR versteht, kennt uns nicht und hat keine Ahnung von unserer Arbeit. Wer sich dennoch diese ahnungslose Meinung erlaubt, was soll man dazu sagen?

Wie wird es im KFZ Marburg und für die ehren- wie hauptamtlich Aktiven weiter gehen?

Wir halten an unserem seit Jahrzehnten erfolgreichen Konzept, welches qualitativ hochwertiges, auch internationales Kulturprogramm, Förderung und Unterstützung ortsansässiger Gruppen und Künstler mit hoher Wirtschaftlichkeit verbindet, fest. Wir schaffen es seit Gründung, alles was das Publikum sieht, ehrenamtlich umzusetzen. Das ist eine Leistung, die auch daher rührt, dass wir Professionalität und ehrenamtliches Engagement produktiv verbinden können.

Über einen solch langen Zeitraum als Basisdemokratischer Betrieb nicht bloß in die Mitarbeiterselbstverwaltung abzurutschen, ist eine besondere Leistung. Des weiteren haben wir wieder zwei Menschen einen Ausbildungsplatz ermöglicht. Wir hoffen, ihnen für ihre ganze Ausbildungszeit ein weiterhin kreativer Ausbildungsbetrieb sein zu können. Und für das Jahr 2007 bereiten wir - ganz optimistisch - unser 30-jähriges Bestehen vor. Wir werden sicher einige Highlights zum Genuss für Viele anbieten.

Das Interview führte: Bernd Hesse © 2004 LAKS Hessen e.V, www.laks.de