Wer die Wahl hat…

Kandidatur zum Oberbürgermeister

Am 03. Juli 2005 sind Oberbürgermeisterwahlen in Rüsselsheim. Neben Andreas Rust (CDU), Stefan Gieltowski (SPD) und Pasquale Aita (parteilos) stellt sich auch Christian Vogt dem Votum der Wählerinnen und Wähler. Der 32jährige Student für Haupt- und Realschule und Veranstaltungsleiter des Rüsselsheimer Kulturzentrums Das Rind sitzt seit 1996 für die Liste Rüssel im Stadtparlament. Nach Jürgen Barth (Darmstadt) und Gerhard Schulz (Projekt Schulz, Wiesbaden) ist Christian Vogt die dritte Person aus einer LAKS-Mitgliedseinrichtung, die sich einer Kandidatur zum Oberbürgermeister stellt.

Christian, du stellst dich als Kandidat für die Rüsselsheimer Oberbürgermeisterwahlen. Wie kam es dazu? Was war der Auslöser?

Die Entscheidung, als Kandidat in eine Oberbürgermeisterwahl einzuziehen, kann nicht durch einen allein getroffen werden. Ich kann die Ehre zwar annehmen, meine Profilneurose ist allerdings nicht so groß, dass ich diese Entscheidung allein getroffen habe. Da hat vor allem das Umfeld, aber auch meine Freundin und die Familie ein Wörtchen mitzureden. Der Auslöser war, dass die anderen Kandidaten wichtige Politikfelder in ihrem Programm ausgelassen haben. Rüsselsheim braucht einen Schub in Sachen Stadtentwicklung. Was die anderen runterbeten ist die leidige Parteiroutine. Für den kommunalen Raum ist so was schädlich. Hier müssen Sachentscheidungen fallen und nicht Berlin gespielt werden. Dass jetzt gerade ich der Kandidat bin, liegt daran, dass ich derjenige aus dem Umfeld bin, der sich durch die parlamentarische Arbeit am besten mit den politischen Strukturen auskennt. Außerdem bin ich durch meine Ausbildung fachkundig und nicht gerade auf den Mund gefallen. Die Rüsselsheimer kennen mich und ich bin so was wie eine kulturelle Integrationsfigur. Man sieht es mir nicht an, aber ich habe eine verdammt breite Schulter, die es mir ermöglicht, mit Kritik umzugehen.

Du sitzt bereits für die Liste Rüssel seit 1996 im Parlament der Stadt Rüsselsheim. Deine Kandidatur wird aber nicht über diese Liste getragen. Sondern?

Wir hätten mit der Liste Rüssel nicht alle Strömungen meines Unterstützungsumfeldes aufnehmen können. Die Wählergemeinschaft Liste Rüssel steht voll und ganz hinter meiner Kandidatur. Wir arbeiten schon immer projektbezogen. Dieses Projekt nennt sich "Aktion 17. Juli". Das ist der Termin der Stichwahl. Die Personen der Aktion 17. Juli sind Menschen, die noch länger in Rüsselsheim leben wollen als die, die jetzt das Sagen haben.

Wie sind die Reaktionen aus eurem bzw. dem parteipolitischen Umfeld?

Die Leute um "das Rind" sind sehr interessiert und neugierig, da eine solche rigorose Einmischung in die Politik für viele bislang noch völlig fremd war. Aber ich muss alle mit einem großen Lob versehen. Mit so viel Unterstützung und Hilfe hatte ich nicht gerechnet, und ich nehme sie gerne in Anspruch und versuche, so viel zu delegieren wie möglich. Es sind harte Wochen, gerade was die Zeit betrifft, die eine Kandidatur erfordert. Die Parteien bekommen so langsam Muffe. Das merke ich an der Kritik, die an meinem Wahlprogramm geäußert wird.

Auf deiner Homepage, die übrigens auch eine türkische und arabische Übersetzung hat, plädierst du für ein breites Verständnis von Kultur, Stadtentwicklung und bürgerschaftlichen Engagement. Das Motto lautet "Für ein urbanes, lebendiges und intelligentes Rüsselsheim". Was darf man konkret darunter verstehen?

Die Frage könnte den Rahmen sprengen. Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Rüsselsheim zu dem wird, was Rüsselsheim zusteht. Wir können durch gezielte Maßnahmen die Stadt so umbauen, dass ein wirkliches städtisches Profil entsteht. Die Parteien sind dazu nicht in der Lage, denn bei denen geht Macht- und Wiederwahlinteresse vor modernen Stadtumbau. Denen fehlt der Mut und Vorstellungskraft, wichtige Entscheidungen gerade in Sachen Stadtentwicklung anzustoßen. In der Gestaltung von Schule z.B. brauchen wir keine Parteipolitik, wir müssen uns an den Ergebnissen von PISA orientieren. Und da haben Schulen gut abgeschnitten, für die Selektion ein Fremdwort ist. Nächster Punkt: Rüsselsheim ist seit der Firmengründung Opels Einwandererstadt. Durch die Internationalisierung des Werkes brauchen wir Facharbeiter, die Fremdsprachen beherrschen. Warum also nicht die Schulfächer Türkisch, Griechisch, Spanisch einführen. Rüsselsheim wäre gut beraten, die Migration als Bereicherung zu sehen und die Arbeit mit Heimatvereinen nicht von Sozialarbeitern machen zu lassen, sondern dies als kulturelles Stadtentwicklungsziel anzusehen. Wer mehr wissen will, der sehe sich bitte die Webseite an oder komme doch mal nach Rüsselsheim. Dadurch wird's am deutlichsten.

Wie wird euer Wahlkampf aussehen?

Der läuft auf Hochtouren. Wir machen alles wie immer mit dem schmalstmöglichen Budget. Den Leuten draußen ist das noch nicht aufgefallen, weil wir durch unsere Arbeit im Rind geschult sind, aus wenig viel zu machen. Das Wahlkampfbudget liegt bei der SPD bei 40.000 Euronen. Meine Kasse ist mit 2.000 bestückt. Und die haben wir uns zum Großteil selbst erarbeitet, ein Teil sind Spenden. Das Unternehmen pavlovic.com macht für mich die Webseite und die Layoutgeschichten. Alles kostenfrei. Dafür müssen andere Kandidaten Agenturen bezahlen. Auch für die professionelle Stylistin und den Fotografen sind keine Kosten angefallen. Wir haben 20.000 Programmfolder produzieren lassen, die meine fleißigen Bienen in jeden Briefkasten der 60.000-Einwohnerstadt werfen. Insgesamt haben wir zwei verschiedene Plakate in einer 500er Auflage drucken lassen. Die bestimmen auf Plakatpappen nun das Stadtbild. Neben der Werbegeschichte ist der Wahlkampf durch eine Ochsentour mit Gesprächen bei Vereinen, Multiplikatoren, Podiumsdiskussionen und Interviews geprägt, die mir mehrere Termine am Tag bescheren. Viele Wähler werden durch Informationsstände in der Fußgängerzone erreicht, bei denen ich anbiete, dass Kinder ihre Wahlplakate selbst malen können. Dann tritt da auch noch die örtliche Kulturszene auf, damit es trotz Kuchen nicht eintönig wird. Dann biete ich noch Fachforen an, in denen über meine politische Ausrichtung diskutiert wird.

Wie lautet eure Zielvorgabe?

Bis zur Wahl alles zu geben. Ich habe meine Webseite bewusst Rüsselsheim-gewinnt genannt, in Anlehnung an die Bewerbung Kassels zu Kulturhauptstadt. Dort hat man die Kandidatur auch so aufgefasst, dass Kassel durch den Prozess der Bewerbung gewinnt. Bei mir ist das genau so. Es ist schon jetzt geschafft worden, die Themen so zu implementieren, dass in jedem Fall die Stadt als Sieger hervor geht. Am meisten würde ich mich aber freuen, wenn ich in der Wahlnacht meinen Helfern sagen könnte: Die Rente ist sicher. So als kleiner Spaß an die Arbeiter in der Soziokultur...

Gesetzt den Fall, du bekämst das Votum der BürgerInnen als Oberbürgermeister. Wie und mit welchen Themen würdest du an die Arbeit gehen? Und wie ist es um die Finanzierung, das KO-Kriterium angesichts der allgemeinen Lage der öffentlichen Haushalte, bestellt?

Ein Baustein ist die Bildungsdividende. Im Haushalt werden alle Positionen um ein Prozent gekürzt und in die Bildung gesteckt. Damit sind Ausgaben für den Umbau in Ganztagsangebote an Schulen zu finanzieren sowie Reformprojekte zu initiieren. Eine weitere Verschuldung ist wegen der Generationengerechtigkeit nicht drin. Wir müssen an die Qualitäten ran. Dann müssen verkrustete Strukturen aufgebrochen werden. Alte Seilschaften werden beendet, junge kreative Köpfe übernehmen das Stadtmarketing. Der Stadtkern wird umgebaut, Rüsselsheim erblüht. Wird urban, intelligent und lebendig. Wir leisten es uns im Augenblick im schönsten Gebäude der Stadt, das Palais Verna im Stadtpark die Ordnungsbehörde zu beherbergen. Die müssen da raus. Dort zieht die Musikschule ein mit einem Konservatorium für Jazz- und Populärmusik. Der Marktplatz muss vom Durchgangsverkehr befreit werden, Cafés und Restaurants angesiedelt werden. So wird die Stadt urban. Die Umsetzung schaffen wir durch das in den Rüsselsheimern genetisch verankerte historische proletarische Schaffenskraftgedächtnis, das uns die Firma Opel ins industriekulturelle Blut gelegt hat. Es muss uns gelingen, Standortvorteile aus- und Standortvorurteile abzubauen.

Christian, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die kommenden Wochen.

Das Interview führte: Bernd Hesse © 2005 LAKS Hessen e.V, www.laks.de