Ich glaube an die Wendung zum Besseren

Geliebt und geehrt: Emil Mangelsdorff

Für seine besonderen Verdienste um das kulturelle Leben des Landes Hessen erhielt Emil Mangelsdorff die Goethe-Plakette des Landes am 20.01.2006. Mangelsdorff, 1925 in Frankfurt geboren, gehört zu den wichtigsten und profiliertesten Jazzmusikern Deutschlands und gilt als einer der weltweit besten Saxofonisten. Zugleich verstehe sich Mangelsdorff als Künstler mit gesellschaftlicher Verantwortung, betont das Kunstministerium in Wiesbaden. Das unterstreiche er beispielsweise durch seine Gesprächskonzerte "swing tanzen verboten" - Als Jazzmusiker im Nationalsozialismus".

Der Staat, in dem er aufwuchs, unterdrückte und verfolgte jede künstlerische Artikulation, deren Basis Freiheit und Menschenwürde ist. Emil, von der Ausdruckskraft des Jazz und der Vielfalt der Mittel dieser Musik beeindruckt, erfuhr, daß kulturelle Neugier, Kreativität und Offenheit ausreichen, um die Staatsgewalt auf den Plan zu rufen. Mehrere Generationen junger Menschen haben Emil zugehört. Aus der Perspektive eines Jugendlichen erzählt er. Eindrucksvoll und lebendig zeigt er, daß Zivilcourage und ein Bekenntnis zu kultureller Vielfalt in jeder Gesellschaft möglich und notwendig ist, daß der aufrechte Gang aber auch Freude und Stärke bedeutet.

Die Reihe der Gesprächskonzerte "swing tanzen verboten" wird auch in diesem Jahr fortgesetzt. Darauf legt der Emil grossen Wert.

Nachtrag vom 14.08.2008:
Der Bundespräsident hat das Verdienstkreuz 1. Klasse
des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
an Emil Mangelsdorff verliehen.

Erstmals im Frühling 1985 sind wir mit dir und deinen Gesprächskonzerten in Kulturzentren, Schulen und Kirchengemeinden gezogen. Die letzte Tour durch die Stadtteile fand im Oktober 2005 wieder ein begeistertes Publikum. Etwas von der Resonanz findet sich in der Presse. In diesen zwanzig Jahren hast du mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter die Johanna-Kirchner-Medaille, die Goethe-Plakette deiner Heimatstadt Frankfurt, die Wilhelm-Leuschner-Medaille, die höchste Auszeichnung des Landes Hessen und nun die Goethe-Plakette des Landes. In unserem heutigen Gespräch möchte ich gern dein umtriebiges und sinnstiftendes Wirken in der Wirklichkeit der Bundesrepublik ansprechen.

Unmittelbar nach dem Kriege entwickelten wir eine Konzertserie "History Of Jazz". Es gab ein grosses Bedürfnis nach authentischem Jazz. Da ich alle Stilarten beherrschte, konnte ich die Zuhörer von der Ursprügen bis zum Cool-Jazz führen.

Was habt ihr 1957 in Polen gemacht?

Werner Wunderlich hatte die Kontakte geknüpft - er hatte in der polnischen Gefangenschaft Polnisch gelernt - und erreicht, dass die "Frankfurt All-Stars" zum Jazzfestival nach Zoppod (Sopot)eingeladen wurden. Wir Jazzmusiker waren die ersten Deutschen, die in Sachen Kultur nach Polen eingeladen wurden.

Die Leser mögen sich erinnern: wir befinden uns auf dem Höhepunkt der Tauwetter-Periode. Polen ist das aufregendste Land in Europa. Die Künste blühen auf, die polnische Politik sucht den Ausweg aus der Gefangenschaft der Ost-West-Konfrontation. Roman Polanski und der Jazzmusiker Krzysztof Komeda haben soeben ihren ersten Film gemacht. Regisseure wie Aleksander Ford und Autoren wie Marek Hlasko werden in Ost und West bewundert...

Und die Plakatkunst aus Polen ist in der ganzen Welt berühmt. Das Zoppod-Festival hatte für Kunst und Politik einen hohen Stellenwert. Die Eröffnung fand im Stadion statt. Auch die Politiker waren präsent. Die Polen waren nach Westen hin aufgeschlossen. Die Musiker spielten sehr modern, waren neugierig auf alles. Ich erinnere mich, dass sie sich alle Noten aufgeschrieben haben, die wir hatten. Wir hatten viel Kontakt mit Musikern und anderen prominenten Intellektuellen und waren beeindruckt von ihren hervorragenden Kenntnissen der amerikanischen Literatur. Es war der erste Kontakt mit Polen.

Die Faszination besteht fort: Zwei Mitglieder deiner Gruppe sind Polen.

Janusz Maria Stefanski und Vitold Rek. Ja, unsere letzte Polenreise führte uns nach Olsztyn - früher Allenstein - in Masuren. 1957 aber ging es zurück nach Frankfurt und 1958 erfolgte die Gründung des Jazzensembles des Hessischen Rundfunks, mit meinem Bruder Albert, Joki Freund, Peter Trunk, Pepsi Auer, Hartwig Bartz, Stu Hamer und später Heinz Sauer, Günter Kronberg und Günter Lenz...

.. und die 60-er Jahre standen vor der Tür mit Black Power - Free Jazz

In einer Gruppe mit dem Gitarristen Attila Zoller entfaltete sich erstmals unser Interesse an Literatur. Wir führten Lyrik von Heinrich Heine auf, mit dem Schauspieler, Autor und Regisseur Gert Westphal. Serien mit Jazz und Lyrik folgten, mit George Gruntz und Joki Freund. Und schliesslich mit meiner eigenen Musik zu Texten von Allen Ginsberg "Das Geheul" mit dem Schauspieler Sebastian Norden. Noch heute bin ich unterwegs mit dem Schauspieler Edgar M. Boelke und Märchen von Oscar Wilde.

Im Jahr 1968 führten zwei Tournees der "Frankfurt All-Stars" mit dem Goethe-Institut nach Südamerika und Asien. Daheim im Jazzkeller waren wir mit Studenten und Linken am Diskutieren. Das tat mir immer gut. "der Opa ist gut" hörte ich

Du warst gerade mal 43 Jahre alt

1973 verstarb meine erste Frau. Die folgenden Jahre war ich nicht besonders fruchtbar. Dann aber folgte mein eigenes Quartett. "Fusion" und "RockJazz", die Ginsberg-LP "Das Geheul" und weitere Schallplatten wurden realisiert. Dies alles fand ja in Frankfurt statt, der "swingenden Stadt" Die Hilfe der Stadt war bis dahin gering.

Man kokettierte zwar mit der "swingenden Stadt", aber es gab keine Hilfe der Kulturpolitik.

Das liegt mir schwer auf dem Herzen. Da veröffentlicht heute ein silbergrauer Kulturpolitiker ein autobiographisches Werk, in dem das Wort Jazz überhaupt nicht vorkommt.

Angstfreie und neugierige Berührung mit dem Jazz fand erst mit der Kulturdezernentin Linda Reisch statt. Sie förderte ein Bewusstsein für die Existenz des Jazz in der Stadt und war wirklich aktiv: Erstmals gelang es, die Kulturdezernentin heranzuziehen und statt Misstrauen kompetentes Handeln - zum Beispiel bei der Gründung der Jazzinitiative und mit der Schaffung des Jazz-Stipendiums - zu erleben.

Linda ist ja auch kein misstrauischer Apparatschik, sie bewundert die Problemlösungskompetenz der Künstler...

...und hat sich folgerichtig mit den Feigheiten der Kulturpolitik angelegt. In dem neuen Schwung in der Stadt, sich auf Jazzfragen einzulassen, konnte in dieser Amtszeit die Jazzklasse in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst wieder eingerichtet werden.

Das geschah mehr als sechzig Jahre nach der Vertreibung - so nachhaltig kann der Nationalsozialismus sein. Als Bürger dieser Stadt stehst du mit deiner Musik immer auf der richtigen Seite

Ja, ich habe die Einweihung des Mahnmals für die ermordeten Frankfurter Juden am Jüdischen Friedhof Battonnstraße mitgestaltet und ebenso selbstverständlich gegen die Startbahn West musiziert. Und so bin ich auch einer der Gründungsväter der Union Deutscher Jazzmusiker und dem Projekt "Jugend jazzt" eng verbunden.

Die Jugend hat Vertrauen und Zuneigung zum Emil

Es ist sehr bemerkenswert, dass sehr viele junge Musiker nichts lieber tun, als Jazz zu spielen. Junge Menschen bleiben dieser Musik verhaftet und spielen mit grosser Perfektion. In meiner Konzertreihe im Holzhausenschlösschen lade ich gern sehr junge Kollegen ein und kann beobachten, wie gut diese Musiker sind und welche Opfer sie bringen. Denn die ökonomischen Bedingungen für gute Musik sind entmutigend.

Vaclav Havel sagt, Kunst wird die Welt mehr verändern als Politik

Die Kunst hat stets Dinge vorausgesagt, die erst viel später in Politik und Gesellschaft erkannt wurden. Erhellende und düstere Entwicklungen der Menschheit sind vorgezeichnet bei Bach und Mozart, Heine, Kafka, Charlie Parker und John Coltrane. Musikerziehung und Kontakt mit Musik sind deshalb unersetzlich. Alle Kompetenzen des Menschen, auch soziale, werden mit Musik entwickelt. Aber die Politik hinkt hinterher.

Die Gegenwart?

Die Gegenwart ist mein aktuelles Quartett. Die Musik, der ich mich am stärksten verbunden fühle, ist Bebop oder auch Post-Bebop. Die Musik, die ich immer noch mit derselben Leidenschaft musiziere. Die Musik, die von Dizzy Gillespie und Charlie Parker ausgegangen ist. Wir machen viele Konzerte und haben volle Häuser. Ich bin sehr glücklich damit.

Die Verehrer von Emil Mangelsdorff bewundern die Fähigkeit, über Mauern zu blicken, den eigenen Weg zu finden und den Humor dabei nicht zu verlieren.

Ja, eine positive Grundhaltung gehört zu mir. Ich bin nicht der Meinung, dass die Welt schon verloren sei. Ich glaube an die Wendung zum Besseren. Mit Freude und Leidenschaft bin ich mit Lesen beschäftigt. So bin ich ständig dabei, Neues aufzunehmen. Bei uns wird viel vorgelesen. Und ohne tägliches Üben ginge das alles nicht. Neugier ist wichtig.

Lieber Emil Mangelsdorff, ich danke für dieses Gespräch

Das Interview führte: Jürgen Leinhos © 2006 LAKS Hessen e.V, www.laks.de