HinterHaus und thalhaus werden zusammen 30 Jahre alt

30 Jahre Kulturpraxis in der Landeshauptstadt Wiesbaden

2007 ist das Jahr der 30jährigen Jubiläen bei den Hessischen Soziokulturzentren. Nach dem KFZ, das Silvester in das Jubiläum gefeiert hat, ist das thalhaus Wiesbaden, das aus dem HinterHaus hervorgegangen ist, der zweite Jubilar. Weitere folgen im Jahresverlauf. Im LAKS-Interview äußern sich Holger Hebenstreit und Klaus Sievertz zu 30 Jahren Kulturpraxis in der Landeshauptstadt Wiesbaden.

30 Jahre HinterHaus bzw. thalhaus, wie hat alles angefangen?

Als wir 1977 die erste Kulturhaus-Initiative starteten, aus einer Galerie in der Yorkstraße heraus, war der Zulauf derartig groß, dass sich die Suche nach einem entsprechend großen Domizil fast von selbst ergab. Bildende Künstler, Tänzer, Fotografen, Musiker, Pantomimen, Literaten, Kunstinteressierte waren wie angestochen. Große Begeisterung, starke Energien wurden da freigesetzt. Dazu muss man wissen, dass es so etwas bis dahin in Wiesbaden nicht gab. So war die Stadt Wiesbaden damals völlig überfordert im Umgang mit solch vehementer Eigeninitiative. Von ihr, das war uns bald klar, war keine Hilfe bei der Suche nach einem Haus zu erwarten.

Also haben wir uns das Kulturhaus-Objekt selbst gesucht: eine heruntergekommene zweistöckige Weinhandlung im Hinterhaus der Karlstraße 15. Selbst gemietet, selbst ausgebaut, selbst finanziert. Werkstätten, Café, Galerie und Bühne mit einem lebendigen Programm aus Film, Kabarett, Theater und Musik, dessen Defizite aus den eigenen Geldbeuteln ausgeglichen wurden. Es dauerte Jahre, bis erste finanzielle Unterstützungen seitens des Kulturamtes flossen. Trotzdem herrschte große Aufbruchstimmung, der Zulauf war groß, und jeder, der wollte, konnte sein Projekt durchziehen. Wie sonst lässt sich erklären, dass wir über Jahre unsere "Plenumsdemokratie" (jeden Mittwoch!!) durchhalten konnten.

Wie kam es zu dem Wechsel vom HinterHaus zum thalhaus?

Im Laufe der Jahre konnten wir den grundlegenden Verfall der Haussubstanz nicht aufhalten. Außerdem war es trotz unseres eingebauten Gebläses im Sommer zu heiß, im Winter froren uns die Toiletten im Vorderhaus ein. Das Flachdach wurde hoffnungslos undicht und vieles mehr. Mit der Vergabe des Kulturpreises an das HinterHaus 1988 wurde ein mögliches neues Haus ins Spiel gebracht.

Ganze zehn Jahre dauerte es allerdings ohne städtische zielorientierte Initiative, bis wir schließlich selbst bei dem Angebot der GeWeGe (Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft) zugriffen und uns in den Umbau des jetzigen thalhaus stürzten. Dabei hat uns die Stadt allerdings massiv unterstützt. Vorher aber hat uns der Kampf um ein neues Haus ziemlich zermürbt. Etwa sechs Objekte wurden uns in den zehn Jahren angeboten, zwei davon inhaltlich und architektonisch von uns detailliert aufbereitet, um sich letztendlich in Luft aufzulösen. Dieses ständige Auf-Koffern-Sitzen hat den Verein damals viel Kraft gekostet und einige Vorstände verschlissen. Auch die lange Bauzeit und der längere Baustop wegen Einwänden der Nachbarn im thalhaus haben Substanz gekostet. Davon haben wir uns allerdings längst wieder erholt.

Kann man Kulturkonzepte von einem auf ein anderes Gebäude übertragen?

Wir haben mit dem thalhaus sicherlich nicht unsere Wunsch-Räumlichkeiten bekommen. Die hätten wir gehabt, wenn eines der Vor-Projekte hätte realisiert werden können, aber das Gebot der Stunde damals war, diese Gelegenheit zu ergreifen. Viele unserer Aktivitäten konnten wir aufgrund der räumlichen Bedingungen nicht "mit rübernehmen". Die "Kultur-Vielfalt unter einem Dach", die im HinterHaus Prinzip war, ist allerdings auch im neuen thalhaus Gebot. Das bedeutet zum Beispiel Beibehaltung der Galerie, Beibehaltung der vielen Möglichkeiten der Bühne für darstellende Kunst, Vorträge und szenische Lesungen sowie Musikangebote von Klassik bis Modern Jazz. Dabei hat sich auch die Besucherstruktur zur Vielfältigkeit hin verändert.

Das hat natürlich auch damit zu tun, dass wir beziehungsweise das thalhaus bürgerlicher geworden sind und wir dazu mit den neuen Räumlichkeiten ein villenähnliches Ambiente übernommen haben, das wir natürlich innenarchitektonisch genutzt haben. Hinzugekommen in unserer Arbeit ist unser starkes Engagement in Theater-Projekten mit Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung sowie Aktivitäten, die wir früher noch selbst - von innen heraus - geleistet haben, nun aber durch Kooperationen realisiert werden.

Wie hat sich in dieser Zeit die Arbeit verändert?

Natürlich ist mit Übernahme eines Projektes wie dem thalhaus die Arbeit zwangsläufig professioneller geworden: Die kulturellen Angebote haben eine neue Qualität bekommen. Das Haus und der Kulturbetrieb müssen nahezu zur Hälfte von uns finanziert werden und es braucht als "Betrieb" bezahlte Kräfte. Spontane Beteiligung ist da zwar immer noch gewünscht, kann aber nicht mehr Grundlage des "Tagesgeschäfts" sein. Viele der "alten" Mitmacher sind der Initiativbewegung "entwachsen", sind aus beruflichen Gründen in andere Städte verschlagen worden, haben Familien gegründet und fühlen sich beruflich und familiär ausgelastet.

Für viele war daher der Übergang vom HinterHaus zum thalhaus Anlass zum Ausstieg. So sehen wir in der jetzigen Kulturarbeit neue Gesichter und die meisten der "Ehrenamtler" haben selbst (frei-)beruflich mit Theater und Musik zu tun und bilden damit lebendige Kontakte zwischen den Sparten und den Künstlern. Es gibt aber weiterhin nur einen Hauptamtlichen, alle anderen haben entweder Honorarverträge oder sind auf der 400 €-Basis beschäftigt.

30 Jahre Kulturpraxis, lässt sich das in Zahlen ausdrücken?

Sicher, aber da wären wir jetzt überfordert, 30 Jahre statistisch auszuwerten, zumal im Hinterhaus nie jemand auf den Gedanken gekommen ist, Besucherzahlen für die Nachwelt aufzuheben. An was erinnert Ihr Euch am liebsten, und woran am wenigsten gern? Es ist im Rückblick auf die Vergangenheit des Vereins wie im anderen Leben auch: Die schwierigen Zeiten, die politischen Kämpfe, die Zerreißproben haben letztendlich größeren Erinnerungswert als die Zeiten, in denen alles glatt gegangen ist (was allerdings nicht oft der Fall war).

Mit einem Blick nach vorn: Was habt Ihr erreicht? Wo steht Ihr jetzt? Und wo soll die Reise hingehen?

Zu 1:Wir haben 30 Jahre nicht nur überlebt, sondern durchlebt, was qualitativ einen enormen Unterschied bedeutet. Auf dem Gebiet der städtischen kulturellen Entwicklung waren wir eine Inititialzündung, und darauf sind wir stolz. Zu 2: Mit dem neuen Haus stehen wir vor neuen Anforderungen, die wir zum größten Teil schon im Griff haben. Zu 3: Vom Reisen haben wir erst mal genug, weil wir 10 Jahre auf Koffern gesessen haben und froh sind, dass wir die nächste Station erreicht haben. Aber was für eine!!

Holger und Klaus, vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft.

Das Interview führte: Bernd Hesse © 2007 LAKS Hessen e.V, www.laks.de