Kultur ist Aufgabe des Staates

Interview mit der Gitarristin Susan Weinert

Wann hast Du mit Gitarrespielen angefangen?

Ich habe als Kind zwei Jahre lang klassische Gitarre gespielt. Dann habe ich eine Pause gemacht und mit 15 wieder angefangen allerdings gleich mit der elektrischen Gitarre.

Was war die Initialzündung dafür (Begegnungen, Erlebnis etc.)?

Freunde, die aktiv Musik machten. Mit 17 besuchte ich ein Konzert von Pat Metheny, das beeindruckte mich so nachhaltig, dass ich mich am gleichen Abend entschloss, Musiker zu werden. Gleich am nächsten Morgen begann ich wie verrückt zu üben.

Seit wann spielen Martin und Du zusammen?

Wir spielen seit 1982 zusammen.

Kannst Du uns etwas erzählen zu dem "Nosferatu"-Projekt in Algerien dieses Frühjahr? Wie kam es zu stande, welche Musiker und Instrumente waren beteiligt, Anekdoten?

Das Nosferatu Projekt war eine Idee des Leiters des Goethe-Institutes in Algier, Herrn Hendrik Kloninger. Er kannte uns aus seiner Zeit im Senegal, wo wir vor einigen Jahren im Rahmen unserer Afrika-Tour ein Konzert gegeben hatten. Er wollte uns mit Musikern vor Ort einen Soundtrack erarbeiten und aufführen lassen. Die Idee begeisterte uns natürlich sofort. Nun wussten wir natürlich nicht, was uns erwartet, kannten die Musiker nicht und wussten bei der Beschreibung der Instrumente nicht, wie sie klingen, konnten also nichts vorbereiten. Als Jazzmusiker sind wir es gewohnt zu improvisieren und haben deshalb auch keine Angst vor dieser Situation gehabt. Wir starteten das Projekt also mit einer kleinen Session, um eine Klangvorstellung zu bekommen. Das hat viel Spaß gemacht und die Gruppe zusammengeschweißt. Die Musik haben wir dann direkt zu den Bildern entwickelt.

Die Aufgabe bestand natürlich darin, den Musikern die Idee des Films näher zu bringen. Die Vampir Thematik hat im Leben der Menschen dort keine Bedeutung. Großartig war auch die Idee von Herrn Kloninger, die eingeblendeten Texttafeln ins Arabische übersetzen zu lassen und dafür einen Erzähler zu engagieren. Anfangs war er ganz schüchtern und las ohne Emotion die Texte herunter. Damit weckte er natürlich in Martin den Ehrgeiz, mehr aus der Rolle herauszuholen. Schließlich sind Martin und ich schon lange große Bewunderer von Werner Herzog, der 1978 Nosferatu mit Klaus Kinski in der Hauptrolle verfilmte. Martin hat dann dem Erzähler, zur großen Belustigung aller Beteiligten, vorgemacht, wie Kinski als Vampir und vor allem Roland Topor als "Mr. Rennfield", der in der Murnauverfilmung ja "Knock" heißt , sprechen. Besonders der Wahnsinn des Knock hat bei den algerischen Musikern für Erheiterung und Begeisterung gesorgt. Martin übte das kranke Lachen mit dem Erzähler ein. Der imitierte zunächst nur zögerlich, dann aber immer intensiver diesen kranken Lachstil. Später lachten alle Musiker so, und Beobachter unserer Proben, denen ja das Hintergrundwissen völlig fehlte, schauten immer etwas irritiert. Martin sagte dann, den Tonfall Werner Herzogs imitierend, dass das egal und es nur wichtig sei, was hinterher aus den Lautsprechern heraus käme.

Wie kam es dazu, dass Ihr Euch entschlossen habt, auch noch Euer eigenes Label zu gründen?

Im Jazzbusiness findet eine zunehmende Kommerzialisierung statt. Doch Jazz und Betriebswirtschaft waren noch nie dicke Freunde. Diese wundervolle Musik sollte nicht nach Verkaufszahlen schielen. Deshalb ist es wichtig, unabhängig zu sein. Labelchefs sollten die kaufmännische Seite betreuen und die künstlerische Arbeit den ausführenden Musikern überlassen. Ich habe eine klare Vorstellung von dem, was ich machen möchte, und brauche niemanden, der mir sagt was die Leute hören möchten. Ich folge einfach meiner inneren Stimme. Vom ersten Album an haben wir immer alles selbst produziert und nie jemanden im Studio gehabt, der sagte: "Mach doch mal so oder so, oder, ja, wunderbar, das mögen die Leute." Ich würde verrückt werden, wenn so etwas passierte. Ich würde auch nie eine Vorproduktion machen. Ich habe die Musik im Kopf, und diese Vorstellung setze ich mit meinen Musikern um. Deshalb haben Martin und ich Tough Tone Records gegründet. Natürlich ist das mit sehr viel Arbeit verbunden, und das Geld für die Produktionen müssen wir auch alleine aufbringen, aber der Schritt hat sich für uns gelohnt, denn wir sind frei und ungebunden, können alles selbst bestimmen, Musik, Artwork, Fotos, Texte. Das ist großartig.

Immer gibt es in Ansagen oder Songtiteln Anspielungen auf Arbeiten von Klaus Kinski und Werner Herzog. Was fasziniert Euch an diesem kreativen Duo?

Die beiden haben Großartiges in der Filmgeschichte bewirkt. SIe haben alles gegeben, sich nicht geschont, um jeden Zentimeter Film gerungen und gestritten, sind an ihre Grenzen gegangen, um auf der Leinwand eine Stimmung zu zaubern. Das ist beeindruckend. Sowohl Herzog als auch Kinski leben/lebten für den Film. Ihre ganze Persönlichkeit fließt in den jeweiligen Film ein, und dadurch sind ihre gemeinsamen Filme zu zeitlosen Kunstwerken der Filmgeschichte geworden.

Vielleicht ein kritisches Statement über die Entwicklung der kulturellen Landschaft in Deutschland in den letzten Jahren?

Die kulturelle Landschaft hat sich sehr verändert in den letzten zwanzig Jahren. Immer mehr wird auf Zuschauerzahlen und kommerzielle Verwertbarkeit von Projekten geschielt. Das hat eine Entwicklung in die Breite verursacht und das Niveau sehr heruntergedrückt. Politisches Kabarett wurde fast vollständig durch Comedy ersetzt, in der Musik überwiegt die leichte Muse, Theater bringen Musical-Produktionen auf die Bühne. Wirklich Mutiges wird in die kleinen Nischen gedrängt und die Medien klammern diese Art der Kultur völlig aus. Man berichtet lieber von großen Ereignissen als von kleinen, nicht publikumswirksamen Initiativen. Hier ist der Staat gefordert dagegenzuhalten, Kultur ist Aufgabe des Staates. Es darf nicht sein, dass ausschließlich der Rechenschieber das Kulturprogramm bestimmt. Kommerzielle, publikumswirksame Kultur hat es immer gegeben und das ist auch gut so. Der Mensch braucht auch Zerstreuung, aber es kann nicht angehen, dass ernstzunehmende künstlerische Initiativen daran gemessen werden. Es muss mit unterschiedlichem Maß gemessen werden.

Ein Statement auch zu der Bedeutung der freien Kulturszene (Kulturzentren und -initiativen)?

Die freie Kulturszene ist von eminenter Wichtigkeit. Mein halbes Leben habe ich ich in Kulturzentren verbracht und unzählige schöne Konzerte dort gegeben. Mit unserer ersten Band hatten wir einen Proberaum in einem Jugendzentrum und die ersten Auftritte waren dort. Doch statt diese Keimzellen der Kulturarbeit zu stärken, zieht der Staat dort Gelder ab und sagt, dass private Sponsoren diese Aufgabe übernehmen sollen.

Diese Sponsoren gibt es natürlich, aber sie haben kommerzielle Interessen und versuchen, ihr investiertes Geld wieder an anderer Stelle einzunehmen. Deshalb interessieren sie sich nicht für ehrgeizige Projekte, die nur wenige Zuschauer anlocken, sondern stecken ihr Geld lieber in Massenveranstaltungen, um so auf ihr Engagement aufmerksam zu machen. Von der pathologischen Sucht getrieben, Aufsehen zu erregen, werden selbst die unsinnigsten Projekte angegangen nur um hinterher sagen zu können, dass das Unternehmen x oder y es unter größten Schwierigkeiten geschafft habe, diesen oder jenen Superstar beim Heimatfest auf die Bühne vorm Rathaus zu bringen. Fragt dann jemand nach 500 € zur Förderung eines Jazzkonzertes oder einer Ausstellung mit einem unbekannten bildenden Künstler, bekommt man die freundliche Auskunft, dass durch das große Engagement des Unternehmens in der kulturellen Arbeit leider in diesem Jahr keine finanziellen Kapazitäten mehr frei sind. Die Antwort darauf kann nur der Staat geben und den Kulturzentren und -initiativen finanziell den Rücken stärken, damit eine Kulturarbeit möglich ist, die diesen Namen auch verdient.

Es versteht sich von selbst, dass in den Kulturzentren und -initiativen Menschen tätig sein müssen, die ihr Handwerk verstehen, ihre Augen und Ohren offen haben für künstlerische Entwicklungen etc. Das ist aus meiner Sicht hier in Deutschland der Fall. Leider gibt es aber durch Etatkürzungen bedingte finanzielle Engpässe, die oftmals schöne Projekte verhindern. Um nicht falsch verstanden zu werden, möchte ich ausführen, dass ich nicht für ein System plädiere, wie es unter den Sozialisten in Frankreich über Jahre praktiziert wurde, ruinöse Zustände geschaffen hat und letztlich an sich selbst gescheitert ist. Musiker z. B. mussten über Jahre hinweg bloß eine geringe Mindestzahl von Auftritten nachweisen, um so in den Genuss zu kommen, für den Rest des Jahres auf Kosten des Staates zu leben. Auf diese Weise haben sich viele Menschen entschlossen, Künstler zu werden und ein entspanntes Leben zu führen. Das hat dann natürlich nichts mehr mit Berufung, sondern eher mit dem Weg des geringsten Widerstandes zu tun, der der künstlerischen Entwicklung noch nie förderlich war.

Meine Idee ist vielmehr die, wie sie ja auch jahrelang in Deutschland bereits erfolgreich praktiziert wurde: dass der Staat die freie Kulturszene unterstützt, indem er Kulturzentren und -initiativen mit adäquaten finanziellen Mitteln ausstattet, gut ausgebildete Fachkräfte in Führungspositionen einstellt und Ihnen die Programmgestaltung überlässt. Ich weiß, ich bin nicht die erste, die solche Ideen äußert, diesen Traum träumen viele, aber es ist ein Traum, für den zu kämpfen sich lohnt.

Das Interview führte: Gereon Schoplick © 2007 LAKS Hessen e.V, www.laks.de