Es gibt genug Kreativität, die nur aufpassen muss, das sie im "Land der Ideen(losigkeit)" nicht untergeht.

Der Vibraphonist Christopher Dell

Christopher Dell zählt ohne Frage zu den wichtigsten Vibraphonisten unserer Zeit: er ist im Jazz zuhause wie in der Neuen Musik. Was ihn zusätzlich auszeichnet, das ist sein Reflexionsniveau. Wie kaum ein anderer Musiker überdenkt er seine spielerische Praxis und ihren gesellschaftlichen Hintergrund. "Kant in Echtzeit" hat ziemlich treffend das Magazin "Jazzthing" ein Portrait des Musikers übertitelt. In seiner improvisatorischen Arbeit versucht er, den Zwischenraum von Festgelegtem und gerade Gefundenem mit Bewegung zu füllen.

Stationen: Tätigkeit als freier Komponist und Musiker. Geboren in Darmstadt. Ausbildung: Vibraphon, Schlagzeug und Komposition in Hilversum und Rotterdam. Stipendiat an der Berklee School of Music, Boston und Stipendiat der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik, Darmstadt; Meisterkurse bei Stockhausen, Rihm und Lindberg. Dozent an der Akademie für Tonkunst, Darmstadt. Musikpreis der Stadt Darmstadt 2005.

Christopher Dell gehört zum Projekt "Jazz gegen Apartheid" und zur "Family of Percussion". Mit beiden Gruppen erwarten wir ihn in unserem Herbstprogamm.

Lieber Christopher, seit Deinem Eintritt in die Welt der Musik richtest Du Deine Aufmerksamkeit auf die musikalischen Neuerungen und suchst mit philosophischer Kompetenz gleichzeitig den gesellschaftlichen Diskurs, der von den Apparaten auch des "linken" Kulturverständnisses wortreich verweigert wird. Gleichzeitig scheint in Darmstadt und Frankfurt nicht verborgen geblieben zu sein, welche Meilensteine Deine Arbeit setzt. Die Besucher unsere Konzerte wissen von Deinem vital geistesgegenwärtigen Engagement, z.B. in den Projekten "Jazz gegen Apartheid" und "Darmstädter Jazz Conceptions". Wie entwickelte sich für Dich die Zusammenarbeit mit der "Family of Percussion"? Welche Themen machen diese Arbeit für Dich interesssant

Spannend für mich ist der radikale Ansatz, sich nur auf Perkussion zu konzentrieren und damit ein ganzes Konzert zu gestalten. Die Konzentration auf eine Instrumentengruppe bietet auch für das Publikum die Gelegenheit, alle Nuancen zu erfahren. Ausserdem hat das Perkussive ja einen ganz speziellen Drive, eine ganz spezifische Archaik. Da es harmonisch recht horizontal zu geht, ist es möglich vertikal die totale Komplexität der rhythmischen Polyphonie auszureizen. Allerdings nicht als l'art pour l'art sondern als Erfahrung von Intensität und Körperlichkeit.

Deine eigenen Musikprojekte sind ja ganz anders angelegt, dennoch (oder gerade deshalb) schätzen Dich die Kollegen in ihren Ensembles

Dass ich als "Sideman" so gefragt bin freut und ehrt mich...

...den "Sideman" würde Peter Giger, der Gründer der Family of Percussion, zurückweisen, er spricht lieber vom Ensemble der Bandleader...

... der "Seideman" ist nur ein formaler, kein inhaltlicher Begriff. Jazz kann ja nur funktionieren, wenn der Sidemann sich voll einbringt, gerade nicht an einem neoliberalen Söldnertum sich gütlich tut.

Gerade die Vielfältigkeit der Projekte, in die ich involviert bin, macht mir viel Freude und verlangt immer neue Konzentration auf unterschiedliche Situationen. Da kommt mir natürlich auch mein musikalisch breit angelegter Background zu gute. Zur Family of Percussion zu gehören ist für mich persönlich eine Ehre - bereits als Jugendlicher war ich ein grosser fan der familiy und bin zu vielen Konzerten gereist.

Mit Deinen musikalischen Aktivitäten setzt Du immer wieder geistesgegenwärtige Akzente im soziokulturellen Kontext. Theoretiker der Soziokultur fabulieren gern von Nachhaltigkeit, Innovation und Selbstreflexion; praktisch erprobt wird dies eher selten - oder?

Klar ist, dass gerade die Generation, die sich besonders für libertinäre soziale Gemeinschaft eingesetzt hat, zeitgeistig bei Bob Dylan stehengeblieben ist und sich heute an Andre Heller und Grönemeyer gütlich tut.

In diesen Tagen werden einige unserer soziokulturellen Zentren 30 Jahre alt. Unser Beharren auf "Jugendkultur" hat eine lange, unbewegte Geschichte - gibt es in der Musik nicht genügend junge Ideen?

Der cultural turn, der mit der sozio-kulturellen Bewegung verbunden ist, hat eigentlich vor allem dazu beigetragen, dass ökonomische Fragen in der ästhetischen Linken kaum eine Rolle spielen.

...ästhetische Maximen sind schon früh mit Kandinsky und Rosa Luxemburg untergegangen...

Die cleveren Sozialarbeiter sind nun Unternehmensberater, nach dem Motto: Heute wissen wir mehr, der Kapitalismus ist doch gar nicht so schlecht. Gleichzeitig wird der Jugend vorgehalten, sie sei unpolitisch. Das ist völliger Unsinn. Es entwickeln sich im Moment nur neue Formen des Politischen, die für einen Ex-Mao-Gläubigen Sarkozy-Anhänger schwer zu verstehen, geschweige denn nachzuvollziehen sind. Es ist also genug Kreativität da, die nur aufpassen muss, das sie im "Land der Ideen", auch so ein alt-68er Quark, nicht untergeht.

Die traditionelle Linke präsentiert sich immer noch gern in der Beliebigkeit einer von PoP&Rock geprägten Warenwelt. Ist nicht eine neue unverbrauchte Ästhetik nötig für eine menschenwürdige Welt?

Peter Sloterdijk attestierte dieser Generation einmal: "Von Verwirrten kann nur Verwirrtes kommen". Das heisst, das es heute schon ein Kunststück ist, wenn man bei sich bleibt, sein Ding durchzieht, ohne sich verwirren zu lassen.

Wie fühlst Du Dich - mit Deiner Erfahrung Darmstadt und der Kenntnis der Kulturlandschaft - in der soziokulturellen Szene aufgehoben?

Dafür steht jene Sozio-Kultur, die bei sich geblieben ist, und sich um Inhalte bemüht. Oft gelingt dies auch, so in der Bessunger Knabenschule in Darmstadt sowie beim Projekt Kultur im Ghetto. Es hängt von der richtigen Initiative, den richtigen Partnern ab.

An unserem Herbstprogramm bist Du auch erneut - mit "Jazz gegen Apartheid" - beteiligt (am 10.11.07 in Ffm)

Auf das Konzert und ein Wiedersehen mit den Gefährten John Tchicai, Harry Beckett und Makaya Nshtoko freue ich mich sehr, die intensive Erfahrung der "frankfurter woche" im Herbst 2006 hat uns sehr nahe gebracht.

Lieber Christopher, danke für dieses Gespräch und wir alle warten mit Spannung auf die Konzerte im September und November, die wir mit Dir erleben werden.

Das Interview führte: Jürgen Leinhos © 2007 LAKS Hessen e.V, www.laks.de