Mein Wort gilt

Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst

2002 startete die LAKS-Gesprächsreihe "Interview des Monats" mit der damaligen Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Ruth Wagner (FDP). Seitdem wurden in mehr als 50 Interviews mit Kulturschaffenden, Künstler/innen und Politiker/innen sehr unterschiedliche Facetten von Kunst und Kultur beleuchtet. Verschiedene Interviews wurden von anderen kulturpolitischen Publikationen oder Schulbuchverlagen übernommen. Nun kommt nach Udo Corts (2003-2008, CDU) mit Eva Kühne-Hörmann die dritte Ministerin für Wissenschaft und Kunst seit Bestehen der Reihe zu Wort, die als erste Person nach 2004 (als damalige Sprecherin für Wissenschaft und Kunst) zum zweiten Mal interviewt wird.

Eva Kühne-Hörmann war im November 2009 Schirmherrin der "4. Hessischen Wochen der Soziokultur - Kultur ruft!". Wie in den vergangenen Jahren nutzten mehr als 20.000 Besucherinnen und Besucher die knapp 200 Veranstaltungen an 16 Tagen für vielfältige künstlerische und kulturelle Entdeckungsreisen.

Frau Ministerin Kühne-Hörmann, welche kulturelle Veranstaltung haben Sie zuletzt besucht?

Privat war ich mit meiner Familie Ende August bei dem großartigen Open Air-Konzert des Staatsorchesters Kassel in der Karlsaue und Ende Oktober anlässlich der Zeitumstellung bei einem nächtlichen Besuch im Planetarium. Als Ministerin habe ich zahlreiche Gelegenheiten, Kulturveranstaltungen zu besuchen.

Was war Ihr erster Zugang zu Kunst und Kultur?

Zu meinen ersten Eindrücken gehört beim Besuch der 4. documenta 1968 mit meinen Eltern das "5600 Kubikmeter Paket" von Christo und Jeanne-Claude - ein 85 Meter hohes zylindrisches, luftgefülltes Paket, das bei uns in Kassel "Riesenwurst" genannt wurde. Als Schülerin habe ich übrigens auch mit meinem Vater an Grabungen teilgenommen: bei der archäologischen Untersuchung der Wüstung Rödersen bei Ehrsten.

Kommen wir auf die Landeskulturpolitik zu sprechen. Bitte vervollständigen Sie den Satzanfang "Kulturpolitik muss..."

...Rahmenbedingungen schaffen, um die Freiheit der Kunst zu gewährleisten und allen Bürgern den Zugang zu kulturellen Inhalten und Institutionen zu ermöglichen, und sie muss das kulturelle Erbe in seiner Vielfalt zu bewahren sowie Anstöße für neue Entwicklungen geben.

Die im politischen Raum gewährte Einarbeitungs- und Schonfrist von 100 Tagen ist vorüber. Wie sehen Ihre bisherige Zwischenbilanz und ihre Eindrücke nach den ersten Monaten aus?

Das Ressort Wissenschaft und Kunst verfügt über eine große Bandbreite spannender Themen. Allein auf dem Gebiet Kunst und Kultur reicht das Spektrum von "Events" wie dem Hessischen Filmpreis bis hin zu Projekten der Literatur- und Leseförderung mit entsprechender Breitenwirkung. Gerade die Breitenförderung und das Engagement ehrenamtlicher Kräfte liegen mir sehr am Herzen. Ohne dies wären viele Initiativen, besonders im ländlichen Raum, gar nicht möglich. Was die genannten Anstöße für neue Entwicklungen betrifft, so wurde vor kurzem beispielsweise das "Frankfurt LAB" auf den Weg gebracht, ein Laboratorium für zeitgenössische Ensembles, für Musiker, Komponisten, Choreografen und Regisseure, in dem das Ensemble Modern, die Forsythe Company, die Hessische Theaterakademie, die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und das Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt zusammenwirken. In Arbeit ist auch ein Konzept, um das Thema Brüder Grimm als Landesmarke zu etablieren.

Wo sehen Sie die kulturpolitischen Herausforderungen und Ihre kulturpolitischen Schwerpunkte für die kommenden Jahre?

Die Finanz- und Wirtschaftskrise stellt uns auch in Hessen vor große Herausforderungen. Kulturpolitik in Hessen, aber nicht nur sie, braucht neben den staatlichen Institutionen auch Menschen, die bereit sind, sich ehrenamtlich zu engagieren. Denn die Zukunft unserer Gesellschaft hängt in hohem Maß von der Bereitschaft der Bürger ab, das eigene wie auch das Leben der Mitmenschen zu gestalten. Solchen vorbildlichen Einsatz möchte ich ermutigen und fördern, und deshalb will ich auch die Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement weiter verbessern.

Kunst und Kultur sind nicht nur für die Identität der Menschen von zentraler Bedeutung, sondern auch Triebfedern der gesellschaftlichen und der wirtschaftlichen Entwicklung. Sie tragen damit in jeder Hinsicht zur Attraktivität des Landes bei. Daher ist mir die Teilhabe möglichst vieler Menschen am gesellschaftlichen und kulturellen Leben wichtig. Ein Schritt auf diesem Weg ist zum Beispiel die bessere Vernetzung von Kultureinrichtungen und -angeboten.

Kommen wir auf die Freie Kultur im Allgemeinen und die Soziokultur im Speziellen zu sprechen. Sie sind keine Newcomerin im Bereich der Kulturpolitik, sondern haben seit 2001 als kulturpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion sowie über führende Positionen in der Kasseler Kommunalpolitik viele und langjährige Einblicke in Kunst und Kultur gewinnen können. Welchen Stellenwert schreiben Sie der hessischen Soziokulturszene in der kommunalen, aber auch in der landesweiten Bewertung zu?

Ich möchte, wie gesagt, möglichst vielen Menschen, insbesondere den Kindern und Jugendlichen, den Zugang zu kulturellen Angeboten unabhängig von finanzieller Lage und sozialer Herkunft erleichtern. Kulturelle Bildung ist nicht zuletzt auch ein Mittel der Integration. Hier haben die soziokulturellen Zentren und Initiativen eine besondere Bedeutung. Der Erfolg dieser Initiativen und Projekte hängt nicht allein von der Höhe staatlicher Fördermittel ab, sondern auch von der Bereitschaft aller Beteiligten zur Kooperation und Innovation. Das schließt Anbieter und Nutzer gleichermaßen ein - und nicht zuletzt Städte und Gemeinden, die originär für eine kulturelle Grundversorgung ihrer Bürgerinnen und Bürger zuständig sind. Aufgabe der Landeskulturförderung ist es vor diesem Hintergrund, solche Bemühungen zu unterstützen.

Fast 4.000 Veranstaltungen jährlich, über 500.000 Besucherinnen und Besucher allein bei den Veranstaltungen, Räumlichkeiten für Theater-, Musik- oder inhaltlich arbeitende Gruppen, gesellschaftspolitische Ansprüche und eine hohe Resonanz insbesondere bei Kindern und jungen Erwachsenen; auch in Hessen hat sich eine "Erfolgsstory Soziokultur" (Julian Nida-Rümelin, erster Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien) entwickelt, die nach wie vor im Wachstum begriffen ist. Wie gedenkt das Land - selbstverständlich in Kombination mit kommunalen Mitteln und Eigenerwirtschaftung der Zentren - die vielfältigen Potenziale der Soziokultur in Hessen abzusichern und weiter auszubauen? Oder, um Ihren Schlusssatz aus dem Interview 2004 aufzugreifen: "Als Sprecherin für Wissenschaft und Kunst werde ich mich wie bisher weiter für die Soziokultur einsetzen". Nun haben Sie als Ministerin für Wissenschaft und Kunst ganz neue Zugänge zu kulturpolitischen und fördertechnischen Gestaltungsmöglichkeiten. Auch für die Soziokultur?

Mein Wort gilt: Ich werde mich auch als Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, wie bisher schon, für die Soziokultur einsetzen. Angesichts der genannten Herausforderungen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise kann ich allerdings keine Zusagen über Steigerungen der Fördermittel auf diesem Gebiet machen.

Ein kulturpolitisches Thema drängt aktuell mit großer Vehemenz in die Öffentlichkeit: Die befürchteten Auswirkungen der Finanzkrise auf die Kultur. So schlagzeilte zum Beispiel die ZEIT: "Der große Kahlschlag. 2010 wird die Kultur womöglich kaputtgespart". Als besonders gefährdet müssen dabei viele Akteure und Einrichtungen betrachtet werden, die wesentliche Beiträge zur kulturellen Vielfalt und kulturellen Bildung leisten, jedoch fördertechnisch unter dem umstrittenen Begriff der - vermeintlich - "freiwilligen Leistungen" geführt werden. Damit es nicht soweit kommt, entwickeln viele Akteure wie der Deutsche Kulturrat, der Deutsche Städtetag, die Kulturpolitische Gesellschaft oder auch die Konrad-Adenauer-Stiftung Aktivitäten und Argumentationen, um diesen gesellschafts- wie kulturpolitisch verheerenden Kahlschlag zu vermeiden. Wie geht das Land Hessen mit dieser Situation um, um die befürchteten Auswirkungen zu vermeiden und einen wichtigen Beitrag für einen "Schutzschirm für Kultur" zu leisten?

Ich werde dafür sorgen, dass Augenmaß auch angesichts der heutigen Herausforderungen gewahrt bleibt. Klar ist, dass uns nur ein gesundes Wirtschaftswachstum den Spielraum eröffnet, die erforderlichen staatlichen Ausgaben mit dem Ziel einer nachhaltigen Haushaltswirtschaft zu verbinden.

Frau Ministerin, wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte: Bernd Hesse © 2009 LAKS Hessen e.V, www.laks.de