Fairness und Kommunikation

Mustafa Gündar verbindet Film, Sozialpädagogik und Fußball. In Streetbolzer-Projekten erreicht er Jugendliche, die sonst häufig mal durchs Raster fallen.

Mustafa, du bist Filmemacher, Sozialpädagoge, Sportfunktionär, aktiver Fußballer und Vater, also ein wahrer çok yönlü insan (Tausendsassa). Was genau machst du alles?

Ich würde sagen, dass ich ein zeitgenössischer fußballverrückter Filmer bin, der leider oft zu wenig Zeit für seine Familie hat und auf dem Fußballfeld nicht immer der Sozialste ist. Meine Gegner behaupten, dass ich auf dem Platz ein ganz anderer Mensch bin.

Wie kam es zu solch einem Werdegang?

Fußball gespielt habe ich schon immer. Die Sozialpädagogik und das Filmen lernte ich während meines Studiums kennen. Die Mischung von offener Jugendarbeit und Filmprojekten erwies sich für mich als ideal. Ich hatte die Möglichkeit, vieles auszuprobieren und mich zu entwickeln. Die Jahre danach habe ich mich ausschließlich mit Filmarbeit beschäftigt. 2009 kam dann der Straßenfußball dazu. In dem Projekt "Streetbolzer" konnte ich meine Interessen Filmarbeit, Fußball und Jugendarbeit miteinander verbinden. Durch die Vernetzung im bundesweiten Netzwerk Straßenfußball bekam ich die Möglichkeit zu reisen, u. a. nach Ruanda zu einem Filmworkshop und 2010 nach Südafrika zum Football For Hope Festival, und das filmisch zu dokumentieren.

Sind das getrennte Felder oder gibt es ein durchgehendes Motiv?

Zuerst dachte ich tatsächlich, dass das alles getrennte Felder sind und ich der rote Faden bin, der diese Sachen gerne macht. Dann habe ich sehr schnell erkannt, dass diese Felder wunderbar miteinander harmonieren können.

Derzeit ist das Thema kulturelle Bildung in aller Munde. Mit den Streetbolzern geht ihr den Weg über den Sport. Warum?

Der Begriff kulturelle Bildung schreckt sehr viele Jugendliche ab. Gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund oder solche aus sozial schwachen Familien können mit diesem Begriff nicht viel anfangen. Über den Sport, insbesondere über das Medium Fußball/Straßenfußball, kann man sehr viele Kinder und Jugendliche erreichen. Der Fußball fasziniert und verbindet Menschen auf der ganzen Welt - unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialem Hintergrund oder kultureller Zugehörigkeit. Der Fußball ist die Basis, durch die wir die Möglichkeit haben, Kinder und Jugendliche auch für andere Dinge zu interessieren. Wir machen seit 2009 Streetbolzer-TV, ein fester Bestandteil des Projekts "Streetbolzer". In diesem Format sind Filmbeiträge entstanden, die sich am Anfang ausschließlich um Fußball gedreht haben, dann aber auch politische und gesellschaftliche Themen umfassten. Entstanden sind bis heute über 15 Film-/Magazinbeiträge, die in vier Live-Sendungen, selber organisiert und durchgeführt von den Jugendlichen, im Offenen Kanal Kassel ausgestrahlt wurden. So konnten wir über das Medium Fußball den Kindern und Jugendlichen das Thema kulturelle Bildung auf eine spielerische Art nahe bringen.

Was verbirgt sich hinter "Streetbolzer"?

"Streetbolzer" bringt Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Stadtteilen über das Medium Fußball zusammen. Es geht es darum, dass sie auf einer respektvollen Basis miteinander interagieren. Viele Kinder und Jugendliche verlassen ihr Viertel nur sehr selten oder gar nicht und haben auch nur wenige Kontakte über ihre Stadtteilgrenzen hinaus. Die Vernetzung der einzelnen Bolzplätze in Kassel verändert das. Die Kids lernen über den Sport ihnen oft fremde Kulturkreise kennen. Sie setzen sich mit anderen Kindern und Jugendlichen auseinander, bauen Vorurteile ab und lernen, Konflikte friedlich und konstruktiv zu lösen. Das Besondere, dass wir keine Schiedsrichter haben und nach Straßenfußballregeln spielen. Vor jedem Spiel kommen beide Mannschaften zusammen und besprechen die Regeln. Ein wichtiger Bestandteil sind die Young Leader - aktive Mitglieder bei "Streetbolzer Kassel" -, die durch ihr vorbildliches soziales Verhalten aufgefallen und fest in Organisation und Ablauf der Turniere eingebunden sind. Sie übernehmen Verantwortung als Spielbeobachter - sie achten darauf, dass die besprochenen Regeln eingehalten werden - und in der Turnierleitung und sie sorgen für die mediale Dokumentation der Turniere. Das funktioniert.

Die Regeln beim "Streetbolzer" basieren also auf Fairness und Kommunikation. Ist das naive Sozialromantik?

Sozialromantik ist es nicht. Wir machen das ja seit vier Jahren und es funktioniert tatsächlich. Obwohl wir am Anfang des Projekts auch erhebliche Schwierigkeiten hatten. So kam es zwischen zwei Stadtteilen zu einer Massenschlägerei, die nur durch den Einsatz der Polizei aufgelöst werden konnte. Aber jetzt fahren ehemals verfeindete Jugendliche gemeinsam mit "Streetbolzer" zu Turnieren nach Frankfurt, Bremen, Berlin und sogar nach Kąty Wrocławskie in Polen. Das funktioniert nur, weil die Kinder und Jugendlichen sich in den Jahren kennengelernt haben und sich nicht mehr fremd sind.

Wen wollt ihr erreichen?

"Streetbolzer" ist ein Angebot für jeden. Durch das niedrigschwellige Angebot erreichen wir auch diejenigen, die sonst gern mal durchs Raster fallen. Aber auch Jugendliche, die in Vereinen aktiv sind, kommen gern zu den Turnieren, weil der Spaßfaktor im Vordergrund steht. Insgesamt erreichen wir ca. 200 Jugendliche, hauptsächlich mit Migrationshintergrund. Schade ist, dass wir immer noch wenig Mädchen im Spielbetrieb haben. Auch einheimische Jugendliche sind in der Minderheit. Vielleicht sollten wir in der Zukunft mehr Integrationsarbeit für die Einheimischen machen. ;-)

Welche Rolle spielt der Schlachthof Kassel?

Der Schlachthof ist ein sehr wichtiger Partner und Unterstützer des Projekts. Viele Jugendliche kommen aus dem Umfeld, weil der Schlachthof für sie ein wichtiger Anlaufpunkt ist.

Welche Erfahrungen hast du bisher gemacht? Welche Pläne hast du?

Durch den Straßenfußball durfte ich fremde Länder und Kulturen kennenlernen und konnte so meinen Horizont erweitern. Um Vorurteile und Barrieren abzubauen, würde ich mir wünschen, dass auch viele Jugendliche die Möglichkeit bekämen, solche Erfahrungen zu machen. Dazu fehlen uns leider die finanziellen Möglichkeiten. Sonst haben wir viele Ideen und Pläne für die Zukunft.

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Das Interview führte: Bernd Hesse und Gudrun Goldmann © 2013 LAKS Hessen e.V, www.laks.de