Eine Plattform für ganz viele Menschen

Der Trägerverein für interkulturelle Bildung und Begegnung in Gießen feiert sein 20jähriges Jubiläum. Im Gespräch mit der LAKs äußern sich Drosia Tanriverdi, Sadullah Güleç und Claudio Salvati über Vergangenheit und Zukunft des „kleinen Orts für große Vielfalt“ für „Menschen wie du und ich“ aus über 100 Nationen.

 

Wann seid ihr gestartet und wie kam es zu eurer Initiative?

Sadullah Güleç: Die Entstehungsgeschichte unseres Zentrums für interkulturelle Bildung und Begegnung reicht bis ins Jahr 1985 zurück. Damals entstand in Gießen erstmals eine rot-grüne Koalition, die neue Impulse in der kommunalen Integrationspolitik setzen wollte. Dazu wurden zwei konkrete Maßnahmen in den Koalitionsvertrag aufgenommen: Die Bildung eines Ausländerbeirats und die Gründung eines „multikulturellen Zentrums“, wie es damals noch hieß.

Drosia Tanriverdi: Vor 20 Jahren ist das ZIBB gegründet worden, von einer Gruppe von Menschen, die in ihrer Stadt etwas bewegen wollten. Die Idee bzw. Vorstellung war, einen Ort der interkulturellen Bildung und Begegnung zu gründen. Deutsche und Nichtdeutsche sollten die Möglichkeit bekommen, zusammen zu kommen, voneinander zu lernen, Vorurteile abzubauen und Rassismus entgegenzutreten, vor allem das Fremde nicht mehr als fremd anzusehen. Das ZIBB wurde zum Sprachrohr für die Menschen in Gießen, die aus 100 verschiedenen Nationen kommen.

Wie ging es weiter?

Sadullah Güleç: Die Bildung des Ausländerbeirats wurde zügig umgesetzt und dieser wurde im November 1986 gewählt – es war damals das fünfte Gremium dieser Art in Hessen. Bis das ZIBB dann endlich eröffnet werden konnte – am 30.11.1996 – dauerte es zwar noch 10 Jahre, aber mit dem Ausländerbeirat war eine Instanz entstanden, die die Idee von einem „multikulturellen Zentrum“ kontinuierlich weiter verfolgte und vorantrieb.
Der Prozess begann mit einer inhaltlichen Findungsphase, in der zunächst näher definiert werden musste, wofür ein „multikulturelles Zentrum“ eigentlich stehen sollte. Manche verstanden darunter ein Haus „für die Ausländer“, das diversen Migrantengruppen ein möglichst mietfreies Vereinsdomizil zur Verfügung stellen sollte. Recht schnell setzte sich aber das Verständnis durch, dass ein solches Zentrum nicht der konservierenden Kulturarbeit ausgewählter Nationalitäten dienen dürfe, sondern sich vielmehr der kommunikativen Begegnung zwischen allen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt widmen müsse.
Schließlich begann die Suche nach einem geeigneten Ort, die wiederum einige Jahre in Anspruch nahm. Als die US-Streitkräfte aus Gießen allmählich abgezogen wurden, und im Rahmen einer Konversionsprojekts eine ehemalige Housing-Area in ein soziales Wohnprojekt umgewandelt werden sollte, entstand die Chance für das ZiBB. Es sollte einerseits als Gemeinschaftseinrichtung für die Bewohner des neuen Wohnquartiers dienen und andererseits gleichzeitig der Ort werden, an dem wir unsere Idee von der interkulturellen Bildung und Begegnung verwirklichen konnten. Für die weiteren Schritte gründeten wir auf Initiative des Ausländerbeirats den Verein für interkulturelle Bildung und Begegnung. Der Verein verfolgte die weiteren konzeptionellen und organisatorischen Maßnahmen und fungiert als Trägerverein für das ZiBB.

Drosia Tanriverdi: Mit Unterstützung der Stadt Gießen, einem engagierten Vorstand und vor allem einer sehr kompetenten und engagierten Geschäftsführerin Frau Dr. Sofia Ott, ist das Zentrum zu einem festen kulturellen Ort der Stadt Gießen geworden. Es ist ein Ort, wo neben bekannten Künstlern und Persönlichkeiten auch Laien, Menschen wie du und ich die Möglichkeit erhalten, über ihr Leben zu berichten, Ihr Können und Wissen zum Ausdruck bringen können.

Dieses soziokulturelle Zentrum gehört zu Gießen und ist nicht mehr wegzudenken. Mittlerweilen ist ein Netzwerk von Unterstützern und Kooperationspartnern, u.a. auch die LAKS, entstanden, die die Arbeit des Zentrums u.a. auch finanziell unterstützen und voranbringen.

Claudio Salvati: Nach der Einrichtung bekamen wir eine Geschäftsführerin und durch ihre tolle Arbeit entwickelten sich alle Projekte.

Wo steht ihr jetzt? Was sind eure Aktivitäten? Wer ist aktiv?

Claudio Salvati: Die Vorstandsmitglieder, im Rahmen ihren Möglichkeiten, einzelne Mitglieder und Sofia Ott, unsere Geschäftsführerin.

Sadullah Güleç: Das ZiBB hat sich in den 20 Jahren seines Bestehens langsam, aber stetig weiter entwickelt und ist heute aus dem Kulturleben unserer Stadt nicht mehr weg zu denken. Unser Jahresprogramm hat sich zu einem reichhaltigen Angebot unterschiedlicher Angebote und Veranstaltungsformate gemausert. Wir werden immer wieder von neuen Besucherinnen und Besuchern entdeckt. Wir sind in der sozio-kulturellen Szene unserer Stadt vielfach vernetzt und wir genießen die Anerkennung und die Unterstützung der Kommunalpolitik. Gleich, von welcher politischen Konstellation Gießen bisher regiert wurde, die Förderung des ZiBB wurde bisher von keiner Seite in Frage gestellt.

Wir sind weiterhin ehrenamtlich engagiert, wobei uns natürlich auffällt, dass es noch immer Mitglieder der ersten Stunde sind, die die Vorstandsarbeit maßgeblich mit tragen. Wir sind zusammen mit dem ZiBB 20 Jahre älter geworden und machen uns langsam Gedanken über einen Generationenwechsel. Ein ganz starker Aktivposten ist aber natürlich unsere Geschäftsführerin Sofia Ott. Sie hat einen besonders großen Anteil daran, dass aus all den vielen Ideen, die wir hatten und haben, Wirklichkeit geworden ist. Sofia hat nur eine halbe Stelle, engagiert sich aber mindestens im doppelten Umfang, um alles am Laufen zu halten. Ohne ihren Einsatz wäre das ZiBB nicht zu dem geworden, was es heute ist. Sie ist das Gesicht und die gute Seele des ZiBB – es kommt manchmal vor, dass sie von Besuchern oder Nutzern als „Frau Zibb“ angesprochen wird.

Drosia Tanriverdi: Viele unserer Aktivitäten haben sich bewährt, sind ein fester Bestandteil des Zentrums. Neben kulturellen Veranstaltungen, Konzerten, Seminare, Workshops, Vorträgen und Ausstellungen sind das internationale Literaturcafe sowie das internationale Erzählcafe eine Spezialität dieses soziokulturellen Zentrums. Neben dem jährlichen Programmsdes Zentrums sind Vereine, Künstler oder Ehrenamtler bei uns aktiv.

An welche Veranstaltung oder welches besondere Ereignis erinnert ihr euch am liebsten?

Claudio Salvati: Das 10-jährige Jubiläum und die Reihen „Internationales Erzählcafè“ und „Der Vorstand kocht“.

Sadullah Güleç: In den zwanzig Jahren ist so viel Schönes passiert, dass es schwer fällt, bestimmte Ereignisse besonders hervorzuheben. Lieb und teuer sind uns grundsätzlich Veranstaltungsreihen geworden, die mit unserem Zentrum entstanden, mit ihm groß geworden sind, und die besonders gut den Geist und die Ziele unseres kleinen Zentrums widerspiegeln, das wir ja als den „kleinen Ort für die große Vielfalt“ bezeichnen. Das sind z.B. Veranstaltungsreihen „Internationales Erzählcafé“, „Internationales Frauencafé“ und „Internationales Literaturcafé“. Dort stehen immer wieder Menschen „wie du und ich“ im Blickpunkt, die ihre Biografien, ihre Erfahrungen und ihre Interessen mit anderen Menschen teilen. Und das war im Kern das programmatische Ziel, dass wir mit unserer Idee von einer interkulturellen Begegnungsstätte verfolgen wollten. Denn in den politischen und oftmals emotional aufgeheizten Debatten um Zuwanderung und Asyl werden die Zuwanderer leider häufig als anonyme Masse gesehen, mit denen man negative Assoziationen wie Überfremdung oder dergleichen verknüpft. Sobald man aber einen einzelnen Menschen betrachtet, ändert sich die Wahrnehmung und der Umgang mit diesen Themen komplett.

Es gab aber natürlich auch Einzelveranstaltungen, die starken Eindruck hinterlassen haben und noch in bester Erinnerung sind. Das war z.B. unser Eröffnungsfest oder die Auftritte von mittlerweile sehr bekannten Künstlern, wie etwa die Lesungen mit der Schauspielerin Renan Demirkan, mit dem Schriftsteller Feridun Zaimoglu oder die sehr beeindruckende Lesung mit Serdar Somuncu aus Hitlers „Mein Kampf“.

Drosia Tanriverdi: Das Internationale Erzählcafe, das bereits seit 20 Jahren existiert und immer noch großer Beliebtheit erfährt, sowie das internationale Frauencafe, das ebenfalls seit 20 Jahren besteht und Frauen aus verschiedenen Nationen zusammenführt.

Wie werdet ihr das Jubiläum begehen?

Claudio Salvati: Mit einer großen Feier, hoffentlich!

Sadullah Güleç: Wir wollen gerne wieder ein buntes Fest veranstalten – so wie vor 20 Jahren bei der Einweihung.

Wie bewertet ihr eure bisherige Entwicklung? Seid ihr zufrieden mit dem Erreichten? Wo nicht?

Claudio Salvati: Ich bin sehr mit dem Erreichten zufrieden.

Sadullah Güleç: Wir sind sehr zufrieden. Anfangs fühlte sich die Idee noch experimentell an und wir konnten nicht vorhersehen, wie gut sich diese Idee entwickeln würde. Heute spüren wir die Selbstverständlichkeit, mit der sich unser kleines Zentrum immer wieder mit Leben und Vielfalt füllt. 

Drosia Tanriverdi: Es wird wertvolle Arbeit geleistet, dank unserer Geschäftsführerin Frau Ott. Durch ihr Engagement (trotz halber Stelle) und ihrem großen Einsatz sind wir sogar über Gießen hinaus gewachsen und bekannt geworden.

Wo seht ihr euch in 5 Jahren? Wo in 20 Jahren?

Claudio Salvati: Ich fühle mich nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten.

Sadullah Güleç: Es klingt vielleicht komisch, aber eigentlich haben wir keine großartigen Wünsche, außer dass alles so bleiben darf, wie es ist. Wir haben nicht den Anspruch, noch viel größer zu werden oder spektakuläre Ereignisse zu schaffen. Wir haben mit dem ZiBB eine Plattform für ganz viele Menschen geschaffen, die diese mit ihren eigenen Persönlichkeiten, Ideen und Talenten füllen. Und wenn wir weiterhin die ideelle und finanzielle Unterstützung erfahren, um diese Plattform aufrecht erhalten zu können, dann können wir auch in 5 oder in 20 Jahren genauso zufrieden sein, wie wir es heute sind. Obwohl, einen Wunsch gäbe es schon: Junge Menschen, die sich uns anschließen, unsere Gründer-Generation ablösen und das ZiBB weiter führen. 

Drosia Tanriverdi: Das Bestreben ist da, die Arbeit fortzusetzen und zu intensivieren. Vor allem junge Menschen zu gewinnen, die diese Arbeit weiterleisten sollen. Diesbezüglich gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Fachbereich der Universität und dem Ehrenamtsverein Gießen.

Vielen Dank für das Interview und alles Gute!

© LAKS Hessen e.V., 2015

Bild: Zweite von rechts: Drosia Tanriverdi, neben ihr: Prof. Dr. Anna Barbara Fische (Vorsitzende), dritter von rechts: Claudio Salvati.

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Das Interview führte: Bernd Hesse © 2015 LAKS Hessen e.V, www.laks.de