Gregor Boeckermann und das musikalische Mahnmal für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung
Die Initiative Ordensleute für den Frieden (IOF) und die beiden Israelis Reuven Moskovitz und Nabila Espanioly haben den Aachener Friedenspreis 2003 erhalten. Der Holocaust-Überlebende Moskovitz und die Palästinenserin mit israelischem Pass Espanioly setzen sich seit Jahren für die Versöhnung von Juden und Palästinensern ein. Die nationalen Preisträger, die Initiative Ordensleute für den Frieden (IOF), treten seit mehr als zwanzig Jahren "gewaltfrei und mutig" für mehr soziale Gerechtigkeit ein, loben die Stifter des Friedenspreises. Mit "spektakulären Aktionen zivilen Ungehorsams" würden die Mitglieder der IOF, katholische Ordensleute sowie andere Christen und Nicht-Christen, den Ursachen von Krieg und Gewalt persönlich entgegentreten und dafür sogar ins Gefängnis gehen. IOF-Aktionen richteten sich zum Beispiel gegen die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt am Main. In zwei Konzerten am 12. und 13. November 03 wird in Frankfurt das musikalische Mahnmal "ECHO-NOMIA 4.4 - für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung" aufgeführt, getragen von IOF, Attac und der Kulturinitiative Kultur im Ghetto.
Gregor, als Priester der Afrikamissionare "Weiße Väter" bist Du einst nach Afrika gegangen und bist dort der Verelendung in der "sog." 3.Welt begegnet. Heute rufst Du zu Mahnwachen in Frankfurt auf. Siehst Du in den Themen der Initiative Ordensleute für den Frieden (IOF) auch Analogien zur Situation in den nördlichen Ländern?
Ja, das war meine Erfahrung: Wir waren zurückgekommen, die Kleine Schwester Monika Maria, die in Haiti gearbeitet hatte, Jesuiten aus Flüchtlingslagern in Süd-Ost-Asien, ich, der aus Algerien kam, und sind in die IOF gegangen, die 1983 entstanden war. Wir haben erst gegen die Stationierung der Pershing-Raketen demonstriert. Die Erfahrung aus der 3. Welt bewirkte, dass die Initiative - nach dem Abzug der Raketen vom Hunsrück - zur Zentrale der Deutschen Bank gingen. Die Fragen der 3. Welt waren immer präsent. Erstmals fand 1990 eine Mahnwache mit einer Slumhütte vor den gläsernen Türmen der 1.Welt statt; mit Texten von Günter Grass, der schrieb: Auf Dauer werden die Slumhütten Kalkuttas die gläsernen Türme der Bankenstadt Frankfurt überdauern. Eingeflossen ist auch die Erfahrung von Not hier im Norden. Bei den Mahnwachen, als wir erlebten, wie die Drogenabhängigen aus der Taunusanlage vertrieben wurden. Dann merkten wir, dass wir uns den Obadachlosen unter den Mainbrücken widmen und gegen die unsägliche "Gefahrenverordnung" in Frankfurt auftreten mussten. Deshalb haben wir uns mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem auseinandergesetzt, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Wir kamen zu der Einsicht: Weil wenige reich sind, sind viele arm. Unser Wirtschaftssystem geht über Leichen.
Was bedeutet der Aachener Friedenspreis für die Initiative?
Einerseits ist der Aachener Friedenspreis eine grosse Ehrung, 20 Jahre nach der Gründung der IOF. Es war eine würdige Feier, vorwiegend für die beiden beiden Israelis. Aber die Laudatio von Andreas Zumach würdigte unser Friedensengagement in Verbindung mit Kapitalismuskritik (die wir just in den 90er Jahren, als der Kapitalismus "obsiegt" hatte, manifestierten) - das hat uns gefreut: erstens dass wir uns gewandelt haben und zweitens dass das erkannt wird - auch unsere Sicht auf die Zusammenhänge zwischen 1. und 3. Welt. Ich muss gestehen, mit Lob umzugehen fällt uns schwerer als mit Kritik. Deshalb war es wichtig, gleich am nächsten Tag eine Mahnwache vor der Deutschen Bank in Aachen zu halten.
Die Ordensleute sind eine kleine Gruppe von katholischen Schwestern und Brüdern und einem befreundeten Umfeld. Wie erklärst Du die Ausstrahlung dieser kleinen Initiative?
Unser Verteiler erfasst etwa 100 Leute, und an den Aktionen sind 20-30 Personen beteiligt. Ungewöhnlich, aber eine Erklärung für die Ausstrahlung ist, dass sich Frauen und Männer der kath. Kirche zu so radikaler Kapitalismuskritik zusammengefunden haben; aber auch unsere Beharrlichkeit bei den Mahnwachen. Als ich vor 13 Jahren die 1. Mahnwache anmeldete, fragte der Herr vom Ordnungsamt nach der Dauer, und ich entgegnete "bis der Kapitalismus besiegt ist". Seitdem trifft sich immer am 1. Donnerstag im Monat eine kleine Gruppe vor der Zentrale der Deutschen Bank. Sie ist ein einziges Mal in 13 Jahren ausgefallen. Manche Kampagne ist auch auf unserem Mist gewachsen, z.B. die Forderung nach Schuldenstreichung war Thema im Erlassjahr 2000 und ist heute von Attac übernommen: So besteht die Hoffnung, das aus einer kleinen Initiative Grösseres entstehen kann. Wobei wir immer kritische Begleiter neuer Initiativen sein und die Infragestellung des ganzen kapitalistischen Sytems stärken wollen.
Ihr habt Frankfurt als zentralen Ort Eurer Arbeit ausgewählt, es ist der Bankenplatz, aber auch Heimat von IOF - und seit einem Jahr auch von Attac (Deutschland). Ist es nur die Funktion der Stadt?
Bei der IOF war es zunächst meine Arbeit bei den Afrikamissionaren "Weiße Väter", die ja im Schatten der Deutschen Bank wohnen. Als wir nach 1983 einen anderen Ort als den Raketenstandort Hasselbach suchten, fiel die Wahl leicht. Erlebst Du auch befreiendes und beflügelndes zu Füssen der Hochhäuser? Als ich vor 17 Jahren aus Algerien zurückkam, war das ein Kulturschock. Wie hier über Islam geschrieben wurde und wie unpersönlich Menschen aneinander vorbeigingen - ein Kulturschock. Ich hatte Heimweh nach Algerien - und es hat lange gedauert, Freunde in Frankfurt zu finden. Jetzt sehe ich die Silhouette der Stadt auch mit heimatlichen Gefühlen.
Von den Mahnwachen in Frankfurt zum Mahnmal: Gerechtigkeit ist ein durchgängiges Thema in den Religionen, in der Kunst und in den Befreiungsbewegungen. Die IOF hat 1999 den Anstoss zu einem Mahnmal in der Bankenmetropole gegeben. Wolltest Du eher ein reales Monument oder ein Mahnmal in den Köpfen?
(lächelt) Wir hatten schon an ein konkretes Mahnmal gedacht, auch wenn einige sagten "ihr habt doch schon das Apfelbäumchen vor der Deutschen Bank". Dann kam unsere Ausschreibung, sehr konkret, dann kamt Ihr mit der musikalischen Umsetzung und zeitgleich Pater Flasspöhler mit einer Hungerglocke. Ich bin glücklich über diese Entwicklungen. Die Glocke wird immer 5 vor 12 für die Armen läuten - in St. Ignatius (Frankfurt/Nordend) Das Mahnmal, auch wenn es in Frankfurt als Monument blockiert wird, hat eine breite Wirkung. Wir bleiben am Ball mit der Verwirklichung. Vielleicht geht es für eine Weile ins Kirchenasyl, wie früher bereits andere umstrittene Vorhaben.
Wie erlebst Du die musikalische Realisierung des Mahnmals, d.h. der zentralen Idee der Gerechtigkeit, in der Musik und in der Arbeitsweise des European Tuba Quartet?
(strahlt) Schon bei der ersten Begegnung hat mich der Komponist Pingiun Moschner fasziniert. Von Musik habe ich null Ahnung, von der Schule her eher einen Hass auf Musik, denn auf unserem Bauernhof wurden solche Dinge nicht gepflegt. Also eher Aggressivität. Nun bringt Pingiun Moschner zu unserer ersten gemeinsamen Pressekonferenz seine Tuba mit, spielt vor den Journalisten und erzählt, dass die Tuba traditionell immer die "dienende" Rolle gespielt hat. Und zeigt auf, was die Tuba alles kann: Gemeinschaft statt Konkurrenz. Da ist das Beispiel so passend! Auch der letzte in der Gesellschaft ist jemand. Wenn die Gemeinschaft siegt, und nicht die Konkurrenz, dann ist jeder ein König und jede eine Siegerin. Das hat mir Pinguin in der ersten Stunde unserer Begegnung vorgespielt. Mit der Folge, dass ich ein Anhänger dieser freien, avantgardistischen Musik geworden bin.
Die IOF und Attac haben gleichermassen Frankfurt als ihren Sitz gewählt. Beide setzen auf öffentlichkeitswirksame Aktionen. Nun kooperieren beide mit der Kulturinitiative Kultur im Ghetto bei der Errichtung des musikalischen Mahnmals. Gibt es über Parallelitäten hinaus aus Deiner Sicht auch die Notwendigkeit einer Ästhetik, die auf öffentlichkeitswirksamen Mainstream wissentlich verzichtet?
Für die IOF war es nicht selbstverständlich, aber immer waren wir im Gespräch mit Künstlern, und wir haben gelernt: wir sind nicht die Einzigen mit unserem kritischen Denken. Avantgarde ist für mich Parteinahme für die Schwachen und Unterdrückten. In der Kirche sprechen wir von der "Option für die Armen". Die notwendige Folge ist der Aufstand gegen die Herren. Das ist das Tuba-Quartett: Jeder Mensch ist einmalig.
Werden wir die nächsten Konzerte gemeinsam mit Dir erleben?
Ja !!
Welches sind die Planungen und Perspektiven in der Arbeit der IOF? (lacht) Unsere nächste Aktion wird eine Sammelaktion für die Deutsche Bank, für einen Rechtshilfefonds zugunsten der angeklagten Herren Ackermann und Breuer - am 13.12. von 14-16 Uhr auf der Zeil.
Lieber Gregor, ich danke Dir für das Gespräch.