Am 28. Oktober 2018 finden in Hessen Landtagswahlen statt. Parallel zu den Landtagswahlen findet auch eine Volksabstimmung statt: Fraktionsübergreifend hat sich der Landtag nach einem zweijährigen Arbeitsprozess auf fünfzehn Änderungsvorschläge geeinigt und stellt diese der Bevölkerung zur Abstimmung. Im Interview mit der LAKS äußert sich Landtagspräsident Norbert Kartmann, warum man von seinem Wahlrecht Gebrauch machen sollte und was hinter den Vorschlägen zur Verfassungsänderung steht.
Herr Landtagspräsident Kartmann, auch in Deutschland, einem der politisch stabilsten und wirtschaftlich stärksten Ländern der Welt, gibt es – in unterschiedlicher Ausdifferenzierung bei Kommunal-, Landes-, Bundes- oder Europawahlen – viele Nichtwähler oder Politik- bzw. Parteiverdrossenheit. Wählen gehen ist für viele keine Selbstverständlichkeit. Warum sollten möglichst alle Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen?
Demokratie lebt von Beteiligung. Eine breite demokratische Legitimation ist umso wichtiger, denn je mehr Menschen wählen gehen und ihre Stimme abgeben, desto stabiler ist die Grundlage für die Arbeit des Hessischen Landtags in den nächsten fünf Jahren. Wer nicht wählen geht, überlässt die Entscheidung über die Zukunft unseres Landes anderen, vor allem extremen Gruppierungen.
Bei diesen Landtagswahlen gibt es mit der parallelen Abstimmung zur Änderung der hessischen Landesverfassung eine Besonderheit. Was sind zentrale Elemente, die zur Abstimmung stehen?
Der Hessische Landtag hat mit breiter Mehrheit ein Gesetz beschlossen, mit dem 15 Änderungen der Hessischen Verfassung vorgeschlagen werden. Diese werden jetzt den Hessischen Wählerinnen und Wählern zur Abstimmung vorgelegt. Ein wichtiger Punkt bei der Modernisierung der Hessischen Verfassung: Die Bürger sollen sich im politischen Geschäft schneller beteiligen können. Wollen Bürger selbst einen Gesetzentwurf in den Landtag einbringen, so müssen sie einem sogenannten Volksbegehren, bisher mindestens ein Fünftel (20 %) der hessischen Stimmberechtigten (derzeit 875.057 Bürgerinnen und Bürger) zustimmen. Künftig sollen es nur noch fünf Prozent sein. Und wer sich intensiver in die Politik einbringen will, nämlich als Abgeordneter im Landtag, der kann das laut Plan nicht erst mit 21, sondern schon künftig ab 18. Gestärkt werden sollen auch die Rechte von Kindern, indem sie explizit in der Verfassung genannt werden sollen. Dadurch sollen Kinder besser geschützt werden, etwa vor Misshandlungen. Ebenfalls vorgesehen sind neue Staatsziele. Das sind Themen, denen die Hessen einen besonders hohen Stellenwert geben sollen. In der neuen Verfassung wären das auch Nachhaltigkeit sowie die Förderung der Infrastruktur, der Kultur, des Sports und des Ehrenamts.
Der Einführung neuer Staatsziele steht der ein oder andere Jurist skeptisch gegenüber. Warum haben sich die Abgeordneten aller Fraktionen dennoch und sehr geschlossen für die Einführung dieser ausgesprochen?
Staatsziele sind eine sinnvolle und richtige Vorgabe für staatliches Handeln. Sie entsprechen einem modernen Staatsverständnis und geben allen staatlichen Ebenen inhaltliche Ziele vor und verpflichten die Akteure, dem jeweiligen Staatsziel einen hohen Stellenwert beispielsweise bei der Anwendung von Gesetzen einzuräumen.
Der Arbeitsprozess der vom Landtag einberufenen Verfassungsenquete war ebenso aufwändig wie demokratiepolitisch spannend. In den zweijährigen Prozess wurden auch zivilgesellschaftliche Vertreter, darunter die LAKS Hessen, eingebunden. Im Ergebnis stand, trotz teils sehr kontroverser Debatten der fünf Landtagsfraktionen, ein Vorschlag mit fünfzehn Reformvorschlägen, und zwar im parteiübergreifenden Konsens. Wie bewerten Sie diesen Prozess?
Solche Prozesse brauchen Zeit und Erfahrung. Dies wurde einerseits durch die Leitung der Kommission durch Herrn Staatsminister a.D. Jürgen Banzer gewährleistet andererseits war die Zusammenarbeit mit den Vertretern der Zivilgesellschaft für den Erfolg maßgeblich. Darüber hinaus hat die breite Beteiligung von Schülerinnen und Schülern und bei den öffentlichen Bürgerforen weitere wichtige Impulse gesetzt und Denkanstöße gegeben, auf die sich die Fraktionen dann verständigen konnten. Ich bin froh, dass das so gelungen ist.
Unsere Gesellschaft, auch in Hessen, befindet sich in einem teils tiefgreifenden Wandel. Welches sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Aufgaben für die kommende Landesregierung bzw. die kommende Legislaturperiode?
Die wichtigste Aufgabe von Politik ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Wir dürfen nicht zulassen, dass durch Extremisten unsere Gesellschaft gespalten wird. Hierzu muss die Politik den Bürgern Sicherheit geben und Vertrauen erhalten.
Sie sind – mit einer kurzen Unterbrechung – seit 1982 Landtagsabgeordneter und seit 2003 Landtagspräsident. Was wird Ihnen am stärksten aus dieser Zeit in Erinnerung bleiben? Und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Es sind natürlich die vielen Begegnungen mit beeindruckenden Persönlichkeiten wie dem Dalai Lama oder Michail Gorbatschow, nicht zuletzt mit Papst Benedikt, natürlich auch mit aktuellen europäischen Spitzenpolitikern wie Jean Claude Juncker oder verschiedenen Staatsoberhäuptern wie dem rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis, zu dem ich einen besonders guten Kontakt habe. Für die Zukunft wünsche ich mir ein starkes Hessen als Teil einer starken Europäischen Union.
Gibt es sonst noch etwas, das Sie an dieser Stelle loswerden möchten?
Hessen benötigt in Zukunft noch mehr und tiefere Beziehung zu europäischen aber auch außereuropäischen Ländern. Hessen soll zukünftig noch stärker als Land in der Mitte Europas bemerkt werden. Das ist ein wesentlicher Teil unserer Zukunft.
Herr Landtagspräsident Kartmann, vielen Dank für das Interview.
Weitere Informationen:
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