Es gibt keine Sicherheit im Mainstream

Zum 14. mal nachhaltig, innovativ, selbstreflexiv, praktisch erprobt - die Darmstädter Jazz Conceptions: Im Interview Peter Giger, Perkussionist und Klangmaler.

Peter Giger kommt aus der Schweiz und begann in Bern und Paris seine Laufbahn als Musiker. 1972 kam er nach Frankfurt am Main, um mit Albert Mangelsdorff zusammenzuarbeiten. Hier gründete er auch 1977 die bahnbrechende "Family of Percussion", mit der er die ganze Welt bereiste. Er arbeitete dabei mit Archie Shepp, Sam Rivers, Max Roach, Burhan Öcal, Dom Um Romao und Luten Petrowsky.

Giger ist ein neugieriger Perkussionist mit experimentierender Lust an Klängen, Farben und Metren. Er schafft Klanglandschaften von unerhörter Schönheit, und seine kritische Geistesgegenwart hält immer Blitze der Ironie bereit.

Es wundert nicht, dass er Weltmusik machte, lange bevor unter dieser Marke die folkloristische Verkrümmung von Musik herbeigehinkt kam. Titel wie "marche pour la paix" sind Programm und Lebensentwurf. Unvergessen sind seine Beiträge zur Henkersmahlzeit und zum Kirchentag gegen Apartheid in Frankfurt/M. In den letzten Jahren verbrachte Peter seine Zeit in der Schweiz und Afrika.

Schon dreizehnmal haben die Darmstädter Jazz Conceptions stattgefunden, immer mit interessanten Dozenten und einer begeisterten Resonanz sowohl bei den TeilnehmerInnen als auch beim Publikum. Nun ist es Jürgen Wuchner und Wolfram Knauer gelungen, Dich zu gewinnen. Was reizt Dich an dem Projekt?

Es war mir stets ein Bedürfnis und liegt mir im Blut, Schlagzeugern, die beim Schlagzeugspiel Probleme hatten, meine Erfahrung und Kenntnisse weiterzugeben. Inzwischen habe ich auch die Fähigkeit, Musiker aller Gattungen rhythmisch weiterzubilden. Ich habe Dich immer als Erfinder, Entdecker und Wegbereiter von Musik und zugleich als umtriebigen Vermittler von Kunst erlebt. Wo liegen gegenwärtig Deine Arbeitsschwerpunkte? Immer noch bei diesen Inhalten und bei der Komposition. Obwohl sich meine Richtung jetzt vom Jazz immer weiter entfernt und sich eher auf moderne Perkussionsmusik, mit dem Hauptgewicht Westafrika und der Einbeziehung von Tanz konzentriert.

Thema der jazz conceptions ist stets das Spiel in der Gruppe - ein Thema, bei dem es ja um Persönlichkeitsbildung, Ganzheitlichkeit und den aufrechten Gang schlechthin geht. Welche Kompetenzen werden in dieser Woche gefördert?

Musikalische Kompetenz ist endlos und kann am besten spielerisch und mündlich weitergegeben werden. Ich bin ein Feind vom zu frühen Notenlesen. Das spontane und koordinierte Spiel im Ensemble ist der Weg.

Genau das wird in Darmstadt passieren. Warum ist das so "schwer"?

Es ist "schwer" für Dozenten, die akademisch-verschulte Lernangebote machen. Die Gastdozenten in der Knabenschule haben einen anderen Background.

In den letzten Jahren hast Du viel in Afrika gelebt. Wird die Auseinandersetzung mit afrikanischer Musik bei den diesjährigen Jazz Conceptions eine Rolle spielen?

Ich bin, was Afrika und seine Musik betrifft, noch selbst beim Staunen und in den Anfängen. Trotzdem werde ich wohl ein paar Anregungen bei der Gruppenarbeit präsentieren.

Würdest Du schon jetzt preisgeben, wie Dein Workshopbeitrag aussieht/womit Du die TeilnehmerInnen in Deinen Workshop lockst?

Ich hoffe, dass der Inhalt meines Beitrags und mein Name dafür genügt.

Als aktiver Musiker hast Du das Zustandekommen soziokultureller Projekte mitverschuldet und zugleich bewiesen, dass eine eigenständige soziokulturelle Ästhetik möglich und notwendig ist. Hat diese Aktivität Spuren hinterlassen oder ist alles von der Beliebigkeit POPulistischer Globalifizierung liquidiert worden?

Es ist wie Spuren im Schnee. Wenn du ein verschneites Feld betrachtest und irgendwelche Tiere haben darin Spuren hinterlassen, was siehst du? - Ich bin so ein Tier, aber vergänglich sind Spuren und Schnee.

Die Bessunger Knabenschule ist eines unserer schönsten Zentren, in dem sich in idealer Weise Widersprüche und Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts treffen können. Woran kann es liegen, dass sich Soziokultur andererseits häufig schwer damit tut, künstlerisch auf der Höhe der Zeit zu sein?

Es liegt an unserer degenerierenden kapitalistischen Gesellschaft, in welcher Medienvertreter und Politiker das Schicksal der Musik in ihre Oberhoheit übernommen haben. Anstatt dem Künstler Respekt für seine Persönlichkeit, Freiheit und Kreativität zu zollen, offenbaren diese Schacherer und Banausen ihre unkompetenten und anmaßenden Neigungen schamlos. Sie verpesten, im Bunde mit der aggressiven kulturellen Expansionspolitik der USA, die Masse mit dümmlicher und niveauloser Fliessbandmusik. In der Schweiz ist dieser Zustand besonders verheerend, hier müssen Musiker entweder nach der Pfeife der Medien tanzen, ins Ausland abwandern oder den Beruf wechseln.

Und wo könnte Soziokultur aktiv werden?

In der neuen Musik, in der Musik der Avantgarde, mit dem Blick nach vorn. Ich beklage, seit ich Musiker bin, die Berührungsängste mit der Musik der Gegenwart. Im In- und Ausland mache ich mich unbeliebt mit meiner Kritik am POPulistischen Blick zurück in die Vergangenheit.

Müssten wir uns also zu einer "Qualitätsdiskussion" durchringen?

Gute Musik muss schon im Kindergarten, in der Schule zu Hause sein. Auch die Soziokultur kann das Vakuum einer eigenständigen soziokulturellen Ästhetik nicht aussitzen. Unkenntnis der Musik der Gegenwart rechtfertigt keine Beliebigkeit. Es gibt keine Sicherheit im Mainstream. "Happy New Ears", das ist das Abenteuer des UnerHÖRTen.

Die Darmstädter Jazz Conceptions werden vom Jazzinstitut Darmstadt und der Bessunger Knabenschule veranstaltet. Kennst Du vergleichbares an anderen Orten?

Es gibt ähnliches in einigen Industrienationen - auch hier in der Schweiz - und ich halte gerade diese Darmstädter Kombination für eine Festung in der Brandung. Junge Musiker wie Christopher Dell und Tobias Backhaus sind in diesem Klima gewachsen und ein aufmerksames Publikum begleitet sie im Leben.

Leider haben in der westlichen Welt die Gründung von Jazzschulen in fast jeder Stadt zu einer Verwässerung der individuellen Spontaneität und zu einer sehr einseitigen - technischen - Disziplinierung geführt. Schlimm ist weiterhin, dass Musikhochschulen und Konservatorien neuerdings die ehemals geschmähten unabhängigen modernen Musikschulen bei sich integrieren und so mit ihren steifen Lehrplänen und überholten Lehrmethoden dominieren. Die Ursprünglichkeit der persönlichen Weitergabe "vom Meister zum Lehrling" - das ist der Weg.

Peter Giger, wir sind froh, viel von und mit Dir lernen zu dürfen und wünschen den 14. Darmstädter Jazz Conceptions Glück und Erfolg.

Das Interview führte: Jürgen Leinhos © 2005 LAKS Hessen e.V, www.laks.de