musik-global: Kultur OUT OF Brotfabrik in Frankfurt

Der Verein "Kultur in der Brotfabrik e.V."

Fast 11 Jahre sorgte der Verein "Kultur in der Brotfabrik e.V." auf dem Gelände einer ehemaligen Brotfabrik in Frankfurt-Hausen für ein abwechslungsreiches, hochwertiges und weit über Frankfurt und Hessen hinaus beachtetes Kulturprogramm mit den Schwerpunkten Weltmusik und moderner Jazz. Im August 2005 verließ der Verein - nicht ganz freiwillig - das Gelände. Im Gespräch mit der LAKS äußert sich der künstlerische Leiter Peter Schneckmann über die Hintergründe, den aktuellen Stand der Dinge und die Perspektiven des Kulturvereins.

Peter, in den letzten Monaten sind die Streitigkeiten zwischen dem Vermieter der Hausener Brotfabrik und euch eskaliert. Anfang August 2005 habt ihr das Gelände verlassen und ein neues Büro in der Ederstraße bezogen, von dem aus ihr "mobil" arbeitet. Wie sieht diese Arbeit nun, da ihr derzeit keinen eigenen Veranstaltungsraum mehr habt, aus?

Unsere wesentlichen Inhalte haben sich nicht verändert: Nach wie vor veranstalten wir hochwertige Konzerte im Bereich Weltmusik und Jazz. Sogar die Frequenz hat sich etwas erhöht, weil wir nun die Förderung der hessischen Szene im Bereich Weltmusik noch regelmäßiger als bisher betreiben: Stichwort "local aliens", eine Reihe, die schon seit sieben Jahren läuft, der wir auch einen eigenen Internetauftritt gewidmet haben. Darüber wird übrigens der Hörfunk des HR am nächsten Wochenende ausführlich berichten. Das Neue an der jetzigen Situation ist lediglich, dass wir für die jeweiligen Konzerte bzw. thematischen Konzertreihen eigene Orte suchen, die dem Charakter der Veranstaltung sehr entsprechen.

Wie sieht das konkret aus?

Als erstes Beispiel aus der aktuellen Arbeit möchte ich die Reihe "frauenstimmen" nennen, die gerade mit zwei ersten Konzerten in der Dorfkirche Hausen begonnen hat, und im November an gleicher Stelle bzw. Dezember in der großen Dreikönigskirche mit einem 20-köpfigen Chor aus Bulgarien, den "Bulgarian Voices - Angelite" fortgesetzt werden wird. Alle diese A-Capella-Konzerte haben in den Kirchen einen wunderbaren Platz. Und das Publikum nimmt dieses Angebot offenbar an, auch die FR hat Anfang der Woche in ihrer Kritik das Konzert mit "Suden Aika" als "herausragend" bezeichnet - und dabei auch den Ort als solchen eingeschlossen. Für die weiteren Perspektiven ist sehr erfreulich, dass wir gerade erst in dieser Woche eine Kooperationsvereinbarung mit der Hochschule für Musik besprochen haben. Im Frühjahr 2006 wird dort im Kleinen Saal die fünfte Ausgabe unserer Reihe "jazzAlliances" realisiert, in einer Zusammenarbeit von Hochschule, Institut Francais und uns sowie mit Unterstützung der Stadt Frankfurt.

Das Besondere wird aber auch sein, dass die konzertierenden Musiker aus Frankreich und Frankfurt zusätzlich Angebote für die StudentInnen der Hochschule machen werden. Darüber hinaus dürfen wir auf die Unterstützung von solchen Kulturinstituten wie der Romanfabrik oder dem Internationalen Theater Frankfurt sowie dem Museum für Angewandte Kunst rechnen, bei denen wir im Herbst 2005 Konzerte durchführen. Geändert hat sich aber, dass wir jetzt natürlich nicht mehr als Vermieter agieren und den gesamten Bereich "Salsa" aufgegeben haben - beides nach Ansicht des Finanzamtes "Wirtschaftsbetriebe" außerhalb unserer gemeinnützigen Ziele. "Not macht erfinderisch" sagte man früher. Ich glaube, dass die komplizierte Situation sich am Ende als eine große Chance erweisen haben wird.

Euer Weggang vom Brotfabrik-Gelände ging letztlich schneller vonstatten als ursprünglich geplant. Hat das Auswirkungen auf die bereits von euch geplanten Veranstaltungen?

Auf die geplanten Veranstaltungen hatten die fünf Monate Zeitdifferenz nur in einem Fall Auswirkungen: Aber das Konzert mit Gilad Atzmon wird jetzt am 23.3.2006 in der Hochschule für Musik nachgeholt. Die Reihe "frauenstimmen" z.B. war ohnehin für die Kirchen geplant. Dank der genannten Kulturorte in Frankfurt, zu denen noch der neue Liveclub "Das Bett" gehört, konnten wir gut umplanen. Was natürlich schwieriger ist, das ist die Orientierung des Publikums auf die neuen, "mobilen" Orte. Da sich unser Publikum aber sehr stark durch unsere Webseite über unser Programm informiert, kann das - eigentlich - gut aufgefangen werden. So liefen bisher z.B. 70% unserer Ticketreservierungen über das Internet. Vor diesem Hintergrund ist zu bedenken, was mit dem gegenwärtigen Nutzungsverbot unserer Webseite durch unsere "Nachfolger" auf dem Gelände erreicht werden soll.

Was waren die Hintergründe?

Seit der Sanierung des Geländes vor rund acht Jahren gibt es Probleme, die sich alle auf Finanzfragen beschränken. Vor allem gab es Differenzen über Nebenkosten, die z.B. erst 2003 zum ersten Mal für die Jahre 1998 bis 2002 vom Vermieter abgerechnet wurden und uns eine Nachzahlung von 24.000 Euro sowie eine Steigerung um 300% präsentierten. Auch über die berechtigte Höhe von Mehrwertsteuern wurde gestritten, bei einer reinen Mietbelastung durch den Vermieter von fast 40.000 Euro im Jahr und bezogen auf acht Jahre kein unwesentlicher Faktor.

Letztendlich aber war für uns die finanzielle Gesamtbelastung zur Vorhaltung eines großen Raumes nicht mehr tragbar, zu viele Fixkosten, insgesamt etwa 55.000 Euro jährlich, gingen in diesen Bereich. Daher auch der Zwang zur Veränderung, denn primär muss Fördergeld in künstlerische Produktionen gehen. Wir haben aber auch auf unserer aktuellen "Ausweich-Webseite" www.jazzdates.de darüber informiert, und ich glaube, die interessierten Leser finden dort ausreichend Stoff für diesen kleinen Kulturkrimi, der ja noch nicht zu Ende ist.

Derzeit ist es euch sogar aufgrund einer von dem Vermieter "Brotfabrik Hausen e.V." und dem "Kulturprojekt 21 e.V." angestrengten Einstweiligen Verfügung untersagt, eure angestammte Webseite "www.brotfabrik.de", eure Wort-/Bildmarke und sogar euren eigenen Vereinsnamen "Kultur in der Brotfabrik e.V." zu verwenden. Wie geht ihr mit dieser Situation um? Und wie schätzt du den weiteren Fortgang ein?

Dieser Vorgang, bei dessen vorläufiger Verfügung wir noch nicht einmal rechtliches Gehör gefunden haben, hat sehr viele empört. Im Kulturbetrieb findet dieses Vorgehen keine Entsprechung, die mir bekannt wäre. Leider wird sich das erst Ende Oktober endgültig klären.

Manche vermuten, hier geht es darum, uns einfach mundtot zu machen unter unserem bisher bekannten und eingeführten Namen. Es darf wohl mit Recht gefragt werden, ob man so hofft, unser Erbe antreten zu können. Was wir davon halten, auch das findet sich inzwischen ausführlicher auf der genannten Webseite, die wir als eine erste Reaktion sehr rasch ins Netz gestellt haben: Aber: Man muss es natürlich wissen, dass es diese Seite gibt, denn auch die reine Weiterleitung von der "alten" auf die "neue" Seite ist uns verwehrt. Selbst die Faxkennung mit dem bekannten Vereinsnamen wurde von der Gegenseite als Verstoß moniert: Es hat schon ziemlich perverse Züge. Deshalb hilft uns sehr, wenn z.B. unsere Kollegen in der LAKS Hessen die aktuelle Seite innerhalb ihrer Kreise kommunizieren.

Aber: Gerade dieses neue Vorgehen gegen uns, nachdem alle mietrechtlichen und finanziellen Fragen mit dem Vermieter in einem Vergleich gelöst waren, spornt noch einmal zusätzlich an, denn es gibt auch allenthalben Solidarität und Ermutigung. Auch wir "haben noch nicht fertig" - um einmal einer der bekanntesten, früher in München und derzeit in Stuttgart wirkenden Arbeitsmigranten zu zitieren ...

Was daraus wird, das muss man abwarten. Dass Rechtsprechung nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen ist, das muss man nicht mehr extra betonen.

Gesetzt den Fall, ihr dürft den Namen auch künftig nicht verwenden oder das Gericht entscheidet in einer für euch nicht nachvollziehbaren Richtung: Du bist fest entschlossen, in letzter Konsequenz auch eine Haftstrafe in Kauf zu nehmen?

Natürlich werden wir auch im ungünstigsten Fall für uns weiterarbeiten. Das zeigen schon die Pläne für das kommende Jahr. Unser Publikum und unsere Kooperationspartner erwarten das auch von uns. Wir müssen uns dann auf neue Gegebenheiten einstellen - darin haben wir inzwischen einige Übung.

Was die Frage nach der schon aktuell angedrohten Bestrafung mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bei Zuwiderhandlung gegen die Einstweilige Verfügung betrifft, so kann ich nur antworten, dass wir natürlich nicht leichtfertig gerichtliche Auflagen außer Acht lassen. Aber hier geht es ja um mehr. Es ist also zu prüfen, ob sich der Einsatz (oder besser: das Einsitzen) lohnt, um die Freiheit der kulturellen Aktion durchzusetzen - auch für unser Publikum und die kommenden Künstler, denen wir jetzt nicht absagen können, weil wir quasi einem Werbeverbot unterworfen sind unter eingeführtem Namen.

Ihr seid als langjähriger Veranstalter weit über Frankfurt und Hessen hinaus bekannt und aktiv. Du selber bist zum Beispiel Juryvorsitzender des Preises für Folk und Weltmusik, Ruth. Deren Newcomerpreisträger des vergangenen Jahres, das Yalla Babo Express Orchestra, ist derzeit im Rahmen der LAKS-Kulturtour 2005 unterwegs. Wird sich an derartigen Aktivitäten etwas ändern?

Natürlich nicht. Wir stecken gerade in der Phase der Vorauswahl durch den Beirat des Preises und im November wird die Jury wieder in Frankfurt tagen und ihre Entscheidung treffen. Außerdem bereiten wir zur Zeit einen hessenweiten - also regional begrenzten - Musikwettbewerb vor und sind weiterhin aktiv in die Vorbereitung des Kulturportals des Landes Hessen eingebunden. Es gibt vieles zu tun neben den Konzertveranstaltungen, denn wir begreifen unsere Arbeit als nachhaltige und umfassende Aufgabe im Bereich der spannenden interkulturellen Entwicklung dieses Landes. Ein weiteres Beispiel dafür ist ja auch unser Webprojekt www.musikglobal.de, eine Infoseite nicht nur zur Musik dieser Welt.

Gibt es an dieser Stelle noch etwas, das du an dieser Stelle loswerden möchtest?

Ja, einen herzlichen Dank an alle KollegInnen (nicht nur) in der Freien Kulturszene, sondern auch bei manchen "Elefanten" oder im Kulturdezernat der Stadt Frankfurt, deren Unterstützung und Verständnis dazu beträgt, den neuen Weg mit Zuversicht zu gehen. Das mag etwas plakativ klingen. Aber wenn man einmal eine solche Situation durchläuft, weiß man diese Hilfen wirklich zu schätzen!

Das Interview führte: Bernd Hesse © 2005 LAKS Hessen e.V, www.laks.de