G8-Protest in Heiligendamm

Sabine Leidig, Geschäftsführerin im Attac-Bundesbüro Frankfurt/M

Die Regierungschefs von nur acht Staaten maßen sich an, über die ganze Welt zu bestimmen. Sie stehen für eine weltweite Politik, die undemokratisch ist, weil sie die Gesellschaften in Arm und Reich, in Mächtig und Ohnmächtig spaltet. Für die Gruppe der 8 ist Krieg ein Mittel, um Zugang zu Rohstoffen und Märkten zu sichern. Umweltzerstörung nimmt sie in Kauf. Das sagt Sabine Leidig, Geschäftsführerin im Attac-Bundesbüro in Frankfurt am Main. Attacs Vorstellungen von einer menschenwürdigen Welt sind ganz anders! Deshalb ruft Attac zum demokratischen Protest gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm vom 2. bis 7. Juni 07. Die LAKS Hessen unterstützt den Protestaufruf.

Liebe Sabine, Heiligendamm steht vor der Tür, was können wir gemeinsam tun?

Alle, die die herrschenden Verhältnisse kritisieren, können vor Ort Veranstaltungen mit Bezug auf den G8-Gipfel organisieren, oder auf die Internetseiten der aktiven Gruppen und Organisationen verlinken, zu den demokratischen Protesten aufrufen und natürlich mitfahren. Es wird ein attraktives Aktions-, Kultur- und Veranstaltungsprogramm des G8-Protestes vorbereitet, um möglichst viele Menschen im Juni in und um Heiligendamm einzubeziehen. Im Zentrum unserer Protestaktivitäten steht die internationale Großdemonstration am 2. Juni in Rostock. Sie ist der Auftakt zu einer weiteren Reihe von Aktivitäten, wie z.B. dem Alternativengipfel (5.- 7. Juni), verschiedenen Aktionstagen und Performances und musikalisch begleiteten Kundgebungen.

In diesen Tagen werden einige unserer soziokulturellen Zentren 30 Jahre alt. Unser Beharren auf "Jugendkultur" ist etwas in die Jahre gekommen - synchron mit den bizarren Rock-Opas auf Bühnen und Podien. Wie alt seid Ihr eigentlich?

Wir sind bald zehn Jahre jung. 1998 hat "le monde diplomatique" das Startsignal für die Gründung von Attac in Frankreich gegeben - als Beginn einer internationalen Offensive zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte. Im Jahr 2000 folgte dann die Gründung in der Bundesrepublik. Unsere Konstruktion ist sehr innovativ: Ein Netzwerk von vielen Organisationen, die themenbezogen verzahnt werden, und eine offene Bewegungsstruktur, die individuelles Mitgestalten ermöglicht; Aufklärung und Expertise verbunden mit Kampagnen- und Aktionsorientierung; lokale, bundesweite, oder europäische Akteure als gleichwertige Knoten im Netz, die ihre Entscheidungen autonom treffen auf einer gemeinsamen Basis: Analyse und Kritik der globalen Ökonomie. Die Forderungen und Aktivitäten sind im wesentlichen auf zwei große Linien orientiert: "Kapital unter Kontrolle bringen" (gesellschaftliche Gestaltung der Wirtschaft, gegen die neoliberale Glaubenslehre von der Deregulierung) und "globale soziale (und ökologische) Rechte durchsetzen!".

Was ist in diesen 30 Jahren an Neuem passiert?Als eine der frühen IWF-Tagungen in Berlin 1988 stattfand, sahen wir nur einen Weg, die abstrakt-komplexe Materie zu entmystifizieren: ein neuer Monteverdi, ein neuer Telemann musste diesen unSINN entzaubern. Heute begreifen Menschen allerorten - in Genua, Prag, Cancun - auch ohne Musik, wofür der G8-Gipfel steht.

Vor allem haben sich die Verhältnisse verändert - die "Schrecken der Globalisierung" sind inzwischen auch hier angekommen. Während Anfang der 1990er Jahre mit dem High-Tech-Boom und der Telekomaktie die Börsenberichte in die Tagesschau kamen und jeder sich als Profiteur sehen konnte, haben die Währungskrisen (Ostasien, Russland, Mexiko, Argentinien) in der zweiten Hälfte der 90er den Glauben an die Wohlfahrtswirkung der Finanzmärkte erschüttert. Und mit Attac ist ein neuer Akteur aufgetreten, der Aufklärung, Öffentlichkeit und Bündelung herstellen kann.

Wie kam es zur Wahl des Standortes Frankfurt/Main für das Deutschland-Büro von Attac?

Attac ist kein Lobby-Verband und wir treten auch nicht in die Fußstapfen der traditionellen NGO-Arbeit. Die Protagonisten der Finanzmärkte sind in "Mainhatten" sichtbar - in ihrem ganzen Gewicht und ihrer Ignoranz.

Es gab auch logistische Gründe: Die Stadt ist verkehrstechnisch bestens angebunden. Und wir finden eine Bühne, die täglich Komik produziert... 400 Jahre "la Bourse" sind einzigartig. Börsenbesetzung, Opernball, Mahnwachen vor der Deutschen Bank: Die Ordensleute für den Frieden beispielsweise sind eine Gründungsorganisation von Attac.

Es gibt viele Bündnisse und Partnerschaften von Attac....

Attac dient oft als Katalysator, um bestimmte Bündnisse zusammenzubringen, z.B. die Aktion "Bahn für alle - für eine bessere Bahn in öffentlicher Hand" und gegenwärtig der demokratische Protest gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm.

Die traditionelle Linke präsentiert sich immer noch gern in der Beliebigkeit einer von Pop und Rock geprägten Warenwelt. Ist nicht eine neue unverbrauchte Ästhetik nötig für eine menschenwürdige Welt?

An dieser Stelle ist auch Attac noch schwach auf der Brust. Die große Breite, die Attac repräsentiert, die unterschiedlichen Kulturerfahrungen, beschweren zugleich ein auf Konsens orientiertes Selbstverständnis. Hier, in der Ästhetik, liegt ein Bereich / eine Bruchstelle, wo Attac etwas tun will. Es wird kein Problem sein, Kulturschaffende zu beteiligen und Künstler für eine Verständigung zu gewinnen. Wir wollen die bestehenden Kontakte nutzen und auch die Büros in den Zentren ansprechen für eine Debatte über die Bedeutung von emanzipatorischer Kunst und Kultur in der globalisierungskritischen Bewegung. Die "POPulistische Beliebigkeit" sollte nicht kopflos weitergeträumt werden. Nach dem G8-Gipfel, bei unserer Sommerakademie könnten wir einen Einstieg finden - mit Konzerten in real existierender zeitgenössischer Musik wie zum Mahnmal, zur Börse, zur Apartheid, zur Kinderarbeit ...

Zurück nach Heilgendamm: Wie kann unsere praktische Unterstützung im G8-Protest aussehen?

Wir können zu einer lebendigen und bunten Großdemonstration am 2. Juni in Rostock zusammenfinden. Blockaden sind gewaltfrei geplant und jeder kann sich beteiligen. Ganz praktisch möchte Attac ganz viele Veranstaltungen schon im Vorfeld haben, denn wir wollen informieren, entlarven und Tatsachen verbreiten. Auch der "Gegenwind"-Wimpel soll unter die Leute. Und auf allen Webseiten müssen Links zur Attac-Seite führen...

...deshalb erinnert im Portal der LAKS-Hessen bei jeder gefundenen Veranstaltung ein Link an Heiligendamm...

...Geld wird auch gebraucht, um die Infrastruktur für dieses Fest zu finanzieren. Aufrufe und Protestschreiben mit Unterschriften von Unterstützern sollen an uns weitergeleitet werden. Materialien wie Filme sollen vor Ort, zum Beispiel im kommunalen Kino, eingesetzt werden. Attac organisiert drei Sonderzüge nach Rostock, aber es müssen auch noch viele Busse nach Rostock fahren.

Woran können wir uns in Rostock beteiligen?

Da wird es den Alternativgipfel vom 4. bis 6. Juni in Rostock und einige Aktionstage geben, zum Beispiel einen migrationspolitischen und einen landwirtschaftlichen Aktionstag. Wir planen gewaltfreie Massenblockaden, davon eine am Militärflughafen Rostock-Laage, zusammen mit der Initiative gegen das "Bombodrom" - einen Bombenabwurfplatz, gegen den sich die Region wehrt - dazu die Großdemonstration am 2. Juni, ein Camp mit Volxküche und kleinKUNST zum Motto "gemeinsam leben" und ein alternatives Medienzentrum.

Ein rollendes "Atelier widerständiger Alternativen" - eine andere Welt ist möglich - vervollständigt den Regenbogen der Phantasie. Schon jetzt läuft das Projekt "mail-art": Eine internationale Ausschreibung wird eine Bildergalerie hervorbringen, die zu diesen Junitagen gezeigt wird. Die Homepage von Attac gibt einen Spiegel über die Entwicklung dieser Vorbereitungen. Über unsere Homepage kann man auch Tickets für die Reise nach Rostock bestellen.

Wie beurteilst Du die Vorbereitungen auf Ebene von Landesregierung und Polizei?

Wir führen - selbstverständlich - Gespräche mit der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern und der Polizei im Vorfeld der Proteste gegen den G8-Gipfel 2007. In Mecklenburg-Vorpommern entscheidet man sich zumindest vordergründig für Deeskalation und für ein "Welcome" gegenüber dem demokratischen Protest. Denn diese schöne Küstenregion will sich nicht zum Deppen der herrschenden Weltpolitik machen lassen.

Wenn man klug ist, kann man die Bevölkerung beruhigen und Gäste für die Küstenregion gewinnen. Miese Vorbilder aus Genua und Hessen (Holger mit der Dachlatte und sein Innenminister Gries mit der Cognak-Flasche) sind an der Küste nicht gefragt. Allerdings findet gleichzeitig eine gigantische "Aufrüstung" statt mit einem mauerartigen "Zaun", einer riesigen so genannten Sicherheitszone und enorm viel Polizeieinsatz. Wir hoffen nicht, dass dieser Aufwand im Nachhinein mit der Erzeugung von "Krawallen" gerechtfertigt werden muss.

Liebe Sabine, vielen Dank für das Interview: Ich wünsche Euch und uns ein lustvolles Gelingen des G8-Protests.

Das Interview führte: Jürgen Leinhos © 2007 LAKS Hessen e.V, www.laks.de