Wir brauchen eine Willkommenskultur

Jörg-Uwe Hahn, Minister der Justiz, für Integration und Europa

Im Februar 2009 wurde in Hessen erstmals das Thema Integration als politischer Aufgabenbereich auf Ministerebene verankert. Seitdem ist Jörg-Uwe Hahn Minister der Justiz, für Integration und Europa. Zudem ist er stellvertretender Ministerpräsident Hessens. Als erster hessischer Integrationsminister hat Jörg-Uwe Hahn die Schirmherrschaft über die dritte Runde von creole - globale Musik aus Hessen übernommen.

Herr Minister Hahn, Sie sind der erste Hessische Minister für Integration. Welche Themensetzungen sind Ihnen wichtig ? Was davon konnten Sie bisher auf den Weg bringen?

Integration ist ein wesentliches Zukunftsthema unserer Gesellschaft und gehört daher bereits seit gut 10 Jahren zu den Schwerpunkten der Hessischen Landesregierung. In dieser Legislaturperiode wurde die Thematik noch weiter ins Zentrum der politischen Agenda gerückt. Mit einem Kabinettsbeschluss vom 20. April 2009 wurde das Hessische Ministerium der Justiz, für Integration und Europa mit der Koordination aller Integrationsmaßnahmen der einzelnen Ressorts der Landesregierung beauftragt.

Integrationspolitische Herausforderungen werden in vielen politischen Handlungsfeldern deutlich: vom Kindergarten über die Schule, die Sprachförderung, Berufsausbildung und Hochschule bis hinein ins Arbeitsleben. Daher wird der Integrationsgedanke in den Handlungskonzepten aller Ressorts mit berücksichtigt.

Eine ganze Reihe von innovativen Maßnahmen hat allein mein Ressort bereits in den zurückliegenden Monaten angestoßen, z. B. die Hessische Integrationskonferenz, die Modellregionen Integration, der Ausbau des Integrationslotsennetzwerks, das Integrationsmonitoring usw.

Deutschland - und auch Hessen - ist ein Einwanderungsland, und es gibt unzählige Beispiele gelungener und gelebter Integration. Dabei stellt gelungene Integration nicht nur Anforderungen an die zu integrierenden Personen voraus, sondern auch an die Aufnahmegesellschaft. Welche weiteren Schritte halten Sie für notwendig? Welcher Partner in der Zivilgesellschaft bedarf es dafür?

Um eine gelungene Integration der Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen, braucht unser Land eine neue Form der Willkommenskultur. Deutschland ist zu recht stolz auf seine Weltoffenheit. Dies ist ein Teil unseres Selbstverständnisses. Daher muss für die Menschen mit Migrationshintergrund erkennbar sein, dass sie in diesem Land willkommen sind und hier alle Möglichkeiten haben, ihre Talente unabhängig von der ethnischen Herkunft zu entwickeln. In diesem Bereich kann unsere Gesellschaft noch ihr Potential ausnutzen. Notwendig ist dazu die interkulturelle Öffnung von Behörden und sozialen Einrichtungen wie auch die weitere Öffnung von Verbänden, Organisationen und Vereinen.

Hier ist in den letzten Jahren schon viel erreicht worden, doch wissen die Betroffenen oft nicht, welche vielfältigen Möglichkeiten des Engagements sie haben. Hier sind die Verantwortlichen im Sport, in der Musik, in der Kultur und allen Vereinen und Verbänden gefragt, noch zielstrebiger sich um die Menschen mit Migrationshintergrund zu bemühen. Ich habe den Sportverein noch in guter Erinnerung, der vor einigen Jahren den Integrationspreis des Landes dafür erhielt, dass er in regelrechter "aufsuchender Arbeit" von Haus zu Haus bei zugewanderten Familien um Neumitglieder warb und damit riesigen Erfolg hatte. Die Migranten haben dann aber auch die Holschuld, die Angebote aktiv wahrzunehmen.

Zweifelsohne spielt beispielsweise der Bereich des Sports, von der Vereinsbasis bis hin zur Deutschen Fußballnationalmannschaft, eine wichtige Rolle. Welche Rolle können Kunst und Kultur in diesem Bereich spielen? Wo liegen Grenzen?

Die Rolle von "Kultur" im Integrationsprozess wird oftmals unterschätzt. Dabei ist dieses Zusammentreffen von verschiedenen Kulturen oftmals ausschlaggebend dafür, ob Integration gelingt oder scheitert. Hinter diesem Begriff "Kultur" verbirgt sich ja ein wahres Füllhorn voll mit menschlichen Erfahrungen, Bedürfnissen, Sitten und Gebräuchen. Und in einem Zuwanderungsland wie Deutschland müssen diese verschiedenen Hintergründe von Menschen nicht immer per se kompatibel sein. Wesentlich erscheint mir aber die Bereitschaft, offen aufeinander zuzugehen. Deshalb muss es uns in den nächsten Jahren gelingen, die verschiedenen Kulturen als Bereicherung für unsere Gesellschaft im Bewusstsein zu verankern. Hierbei kann die Kunst in ihren verschiedenen Ausprägungen eine besondere Rolle spielen. Kunst weckt in uns Menschen Interesse und schafft vielfältige Erlebniswelten, die eine Basis für Kommunikation und Kennenlernen bilden. Dies führt zu mehr Verständnis, zu mehr Akzeptanz und leistet damit einen wesentlichen Integrationsbeitrag.

creole - globale Musik aus Deutschland / Hessen geht von der Prämisse aus, dass in der kulturellen Vielfalt eine Bereicherung liegt. Sie haben Die Schirmherrschaft über die Aktivitäten in Hessen übernommen. Warum?

Gerade für ein weltoffenes Land wie Hessen ist Vielfalt in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Gewinn. Dies potenziert sich im musikalischen Bereich, wo mit Melodien, Harmonien und differenzierten Klangfarben ein Tongebilde erzeugt wird, dass die menschliche Seele in ihrem Inneren erreicht und dadurch eine Urform der Kommunikation aufgreift, die von Sprache unabhängig ist.

Die Musik zeigt uns in besonders anschaulicher Weise, wie schön und ansprechend Unterschiede sein können. Und - wenn ich hier in der Tonsprache sprechen darf - sie führt uns auch vor Augen, dass unser menschliches Zusammenleben nicht immer nur in strahlendem Dur, sondern manchmal auch im nachdenklichen Moll verläuft. Übertragen auf den Integrationsprozess bedeutet dies für mich, dass wir Probleme nicht verleugnen dürfen, dass aber die Konzentration auf die Chancen und die positiven Entwicklungspotentiale gewinnbringend ist. Ich bin mir deshalb ganz sicher, dass es uns gelingen kann, weiter Grenzen und Schranken abzubauen. Musik unterstützt uns hierbei und deshalb habe ich auch gerne die Partnerschaft für dieses Projekt übernommen.

Gibt es noch etwas, das sie an dieser Stelle loswerden möchten?

Pauschalurteile über Menschengruppen lassen zumeist den Respekt gegenüber den Menschen vermissen. Vergessen wir nicht den ersten Artikel unseres Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Diese Grundeinstellung muss über all unseren Handlungen stehen. Respekt verdient aber auch unser Gemeinwesen.

Die Kultur des "Respekts" muss wieder mehr unseren Alltag bestimmen. Hier ist aber wichtig, dass der Respekt nicht nur dem Vater gilt, sondern auch der Lehrerin, nicht nur der Schwester, sondern auch der Klassenkameradin, nicht nur der Familie, sondern auch den Institutionen der Gesellschaft. Auch gegenüber der Polizei muss der Respekt - insbesondere auch von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund - wieder steigen.

Herr Minister Hahn, wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte: Bernd Hesse © 2011 LAKS Hessen e.V, www.laks.de